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Für mich ein guter Zeitpunkt, um auf dem Gastroportal meines Vertrauens ein mehrteiliges Update in Sachen gehobener Heimatküche zu liefern. Denn erstens können in unsicheren Zeiten wie diesen ein paar anregende Zeilen über die Top-Gastronomien vor der eigenen Haustür nicht schaden. Und zweitens können wir ja jetzt unsere kulinarischen Sehnsuchtsziele wieder besuchen – wenn auch unter den hoffentlich bald wegfallenden, die Gastronomen gängelnden Pandemie-Regeln.
Auch wenn ich über die besseren Häuser meiner Heimat schon genug Worte verloren habe, werde ich in der Folge eine Reihe bekannter Pfälzer Genuss-Enklaven erneut ins Rezensionsvisier nehmen.
Das zweite Restaurant, das ich kurz vor dem „Lockdown“ noch besuchen durfte, befindet sich im hübschen, direkt am Rhein gelegenen Örtchen Neupotz und wurde im letzten Jahr erstmalig mit der einsternigen Weihe des Guide Michelin bedacht. 2020 konnte man den begehrten Macaron bestätigen.
Noch vor der respektablen Auszeichnung war ich hier häufig zu Gast und konnte die sukzessive Weiterentwicklung von Chefkoch Faycal Bettioui und seinem Team über ein paar Jahre hinweg mitverfolgen. Schon damals beeindruckte die ambitionierte Herangehensweise des Küchenchefs und ließ die Neupotzer Krone schnell zu einem der angesagtesten Feinschmeckerlokale der Südpfalz werden.
Kurz vor der Corona-Schließung verschlug es mich in ungewohnter Gesellschaft dorthin. Anlässlich ihrer bestandenen Abiturprüfung, die sie übrigens mit hervorragenden Leistungen ablegte, lud ich im März dieses Jahres meine Nichte in die Krone ein. Es war das erste Sterne-Restaurant, das die frisch gebackene Abiturientin besuchte. Um ihr Faible für gutes Essen wissend, wollte sich ihr stolzer Onkel auf kulinarische Weise erkenntlich zeigen.
Von außen nicht ersichtlich, hat die Krone ihr Erscheinungsbild im Kern doch merklich verändert. Und das in vielerlei Hinsicht. Die schrittweise vollzogene Umgestaltung des Gastraums, die Umbesetzung beim Servicepersonal, die drastische Aufwertung des Weinangebots (sowohl quantitativ als auch qualitativ) sowie die komplette Abkehr vom klassischen À-la-Carte-Geschäft waren klare Indizien der Wandlung, die das seit 2015 von den Bettiouis betriebene Restaurant bisher durchlebte.
Aber auch mit besternter Kochmütze lehnt sich der Herdmeister nicht zurück. Das spürt man schon beim Eintritt in den von schnörkelloser Exklusivität geprägten Gastraum. Vom letzten Relikt der alten Gastwirtschaftszeit, der Ausschanktheke, war keine Spur mehr. Stattdessen hatte man das Innere der Krone um ein gemütliches Eck erweitert.
Unser Tisch an diesem Abend
Dass das gastronomische Gesamtpaket „Krone“ noch immer „in progress“ und das Streben nach Verbesserung längst nicht abgeschlossen ist, spiegelte sich auch beim Mobiliar wider. Mit runden Tischen aus wertigem Kirschholz, die auch ohne weißes Leinen eine gute Figur machten, hatte man das Interieur sichtbar aufgewertet. Die gelungene Melange aus „casual“ und „fine“ empfängt die hier einkehrenden Feingaumen auf sehr angenehme Art und Weise.
Gastraum (Ansicht 1)
Orientalisch angehauchte Teppiche verliehen der bewusst nüchtern gehaltenen Einrichtung etwas mehr Behaglichkeit. Diese kam ebenso in den herrlich bequemen, drehbaren Armlehnsesseln mit Lederüberzug und komfortabler Polsterung zum Ausdruck. Neben den von Deckenspots angestrahlten Tischen hingen ein paar vereinzelte, jedoch großformatige Malereien an den Wänden.
Gastraum (Ansicht 2)
Etwas weniger Grau um mich herum wäre mir in der Summe zwar lieber gewesen, aber die kleinen Kunstwerke aus Faycal Bettiouis Küche wirkten im Kontext dieses auf Purismus abzielenden Raumkonzepts noch eine Spur eindrucksvoller, so viel sei schonmal vorweggenommen. Da lenkte nichts von den perfekt inszenierten Arrangements auf den Tellern ab und das war sicherlich auch so gewollt.
Den Weggang von Thomas Fischer im Service konnte man durch Christian Pufahl gut kompensieren. Der vorher im Ketschauer Hof zu Deidesheim tätige Weinfachmann wirkte auf mich sehr kompetent und war gleichzeitig mit einer volldosierten Portion guten Humors ausgestattet. Was jener an kleinen Randdetails zu den ohnehin schon sehr informativen Ansagen der einzelnen Gänge noch on top lieferte war schon bemerkenswert. Definitiv ein Gewinn für die Krone und zusammen mit dem etwas förmlich wirkenden Herrn Echle ein Servicegespann von ausgewogenem Format.
Das Speiseangebot umfasste lediglich zwei Menüs. Beim „Le Petit Menu“, das in fünf oder sechs Gängen (80 bzw. 90 Euro) offeriert wurde, konnte die Weinbegleitung gleich mit dazu bestellt werden. Beim „Grand Menu“ (110 Euro) erteilte man der Küche „carte blanche“ und durfte sich überraschen lassen.
Wie viele Gänge das große Tasting-Menü implizierte war der Karte nicht zu entnehmen. Auch desbezüglich herrschte also unbeschränkte Handlungsfreiheit. Für Käsefreunde wartete noch ein gut ausgestatteter Wagen vom Maison Lorho aus Strasbourg, einer der besten Fromagerien im Elsass. Vinophile Schluckspechte konnten mit einem „Extra-Fuffi“ eine glasweise ausgeschenkte Korrespondenz in flüssiger Form dazu ordern.
Wir entschieden uns gegen die Küchenreise voller Überraschungen und für das kleine Menü, dessen sechs Gänge als Gesamtpaket derart verlockend klangen, dass uns trotz aller Spontanität und Entdeckerfreude die Entscheidung recht leicht fiel. Mit der interessant klingenden, aus fünf Weinen bestehenden Begleitung (42 Euro) wollte ich meine Nichte nicht überfordern. Da blieben wir doch lieber bei einer Flasche, die uns schmeckte.
Ich blätterte mich durch das Ringbuch mit der bemerkenswerten Auswahl an Pfälzer Top-Gewächsen, die noch um ein paar erlesene Flaschen aus dem Ausland erweitert war. Selbst von der Mosel hatte man die ein oder andere Sonnenuhr im Portfolio. Die gar nicht mal so alte Jungfer vom Rheingauer Rieslingpapst Peter Jakob Kühn durfte da selbstverständlich nicht fehlen.
Nach reiflicher Überlegung fiel die Entscheidung auf eine Flasche vom trockenen 2018er Weißburgunder Kalkmergel (32 Euro), der vom Schweigener Jungwinzer Johannes Jülg vinifiziert worden war. Der zur Hälfte in Edelstahl und Holz ausgebaute Pfälzer Wonnetropfen war ein rassig-kühler Vertreter seiner Art und ein großartiger Essensbegleiter obendrein. Ein Weinentschluss, den wir den ganzen Abend über nicht bereuten.
Der Wein des Abends
Ein pittoresker Amuse-Reigen eröffnete das Gaumenspektakel. Ein nicht zu zaghaft gewürztes, herrlich süffiges und definitiv von Hand geschnittenes Beef-Tartar kam auf einem kreisrunden Parmesanchip an den Tisch. Die auf schwarzen Kieselsteinen angerichtete Köstlichkeit erhielt von einem Tupfer Miso-Crème etwas asiatischen Touch.
Beef-Tartar (Amuse 1)
Nicht minder delikat zeigte sich die Mini-Tartelette aus kleingehäckseltem, frisch angemachtem Krabbenfleisch. Leichte Süße traf auf anregende Frische. Klein auf der Hand, aber richtig groß auf der Zunge.
Krabben-Tartelette (Amuse 2)
Den optischen, wie auch geschmacklichen Höhepunkt an Fingerfoodpreziosen stellte ein aus cremiger Foie Gras, Apfel und Rote Beete zusammengebauter Macaron dar. Texturell zwischen fluffig, cremig und knackig oszillierend, lieferte die akkurat geschichtete Petitesse ein faszinierendes Süß-Säurespiel gleich mit.
Foie Gras / Rote Beete / Apfel - Macarons (Amuse 3)
Spätestens da war klar, welch köstliches Küchenwerk uns an diesem Abend noch bevorstand.
Beim ersten Gang zauberte uns Faycal Bettioui ein farbenfrohes Rohfisch-Arrangement auf den ästhetischen Glasteller. In dünne Scheiben geschnittene Stücke von der Gelbflossenmakrele – natürlich in bester Sashimi-Qualität – schwammen in wohltuender Dashi-Tunke aus grünen Tomaten. Etwas Daikonrettich sorgte für Biss, kleine Yuzu-Perlen für säuerliche Akzente.
Yuzuperlen...
Zum aromatisch zitrischen Fruchtkaviar gesellte sich noch Apfeloma Smith in Kugelform. Die Kornblumendeko on Top setzte die schon bei den Amuses gewählte Garniermethode fort. In der Summe war das ein Hammer-Hiramasa mit Mut zur säuerlichen Frische. Gelungener Auftakt.
Hammer-Hiramasa
Die Idee, anstatt Brot und Butter zu Beginn, ein paar sagenhaft mürbe, noch leicht warme Croissantschnecken mit französischer Butter und Meersalz nach dem ersten Gang zu schicken, fanden wir total klasse. Anscheinend kennt da jemand einen richtig guten Bäcker im Elsass. Das Blätterteiggebäck war jedenfalls vom Feinsten. Kompliment.
Croissantschnecken für Zwischendurch
Gang Nr. 2 erinnerte mich latent an einen Krone-Klassiker früherer Tage. Schon damals kombinierte man hier die gebratenen Jakobsmuscheln mit einer leuchtend gelben Sabayon (ich glaube es war Curry…). Diesmal kamen die perfekt gegarten Meeresbewohner aus der Pilgerschale mit einem delikaten Seeigelrisotto und aufgeschäumter Mirin-Sabayon aufs Porzellan.
Jakobsmuscheln, Mirin-Sabayon, Seeigelrisotto und Krustentierjus
Etwas Wumms steuerte die mit Chili aufgemotzte XO-Sauce bei. Zusammen mit einer Pfütze Krustentierjus, der man schon rein farblich ihren wohldosierten Safrananteil ansah, ergab das ein Muschelgericht von geradezu frappierender Süffigkeit. Im Tennis würde man sagen: glattes Ass auch mit dem zweiten Aufschlag.
Der nächste Teller erwies sich echter Hingucker. Als hätte der Pâtissier das süße Finale soeben mal vorgezogen, kam eine hübsch verzierte Foie-Gras-Mousse im Stil einer Crème Brulée aus der Kronenküche. Begleitet wurde die sagenhaft schmelzige Delikatesse von Birnengel und Zwiebelchutney. Diese kümmerten sich gleich tupfenweise um fruchtige Würze. Etwas aufgepoppter Reis und ein paar gelbe Kornblumen komplettierten diesen gustatorischen Paukenschlag, der sowohl texturell als auch visuell auf ganzer Linie überzeugte.
Crème brulée von der Foie Gras
Das „Haute-Gefühl“ der feinen französischen Cuisine hatte in Neupotz Einzug gehalten. Ein klarer Fall von seligmachender Kulinarik, für die manche gerne den Weg ins Nachbarland antreten.
Als Fischgang – wir hatten mittlerweile schon Gang 4 eingeläutet – servierte man uns den letzten Skrei…ich schätze mal des Jahres. Mit hübscher, aus drei Sorten zusammengesetzter Kaviarfrisur, knackigem „wilden Brokkoli“ (Stängelkohl), den die Italiener so liebevoll Cima di Rapa nennen, und einer geradezu sensationell mundenden, mit Vin Jaune verfeinerten Beurre Blanc wurde uns das fachmännisch gegarte Stück vom Rücken des Winterkabeljaus aufgetischt. Hering, Saibling und Forelle zeichneten sich übrigens für die jodig-salzige Fischeier-Beigabe verantwortlich.
Der letzte Skrei (des Jahres)
Der eigentliche Star auf dem Porzellan war jedoch die Beurre Blanc, in die der lange gereifte „Oxadativling“ aus dem Jura perfekt eingebunden war und eine herrliche Aromentiefe erzeugte. Keine Ahnung, wann ich zuletzt eine so köstliche weiße Buttersauce genossen habe. Wahrscheinlich noch nie.
Nach dem Fisch schalteten wir in den 5.Gang, der uns ein butterzartes, 6 Stunden lang unter Sous-vide-Bedingungen gegartes Filet vom Charolais Rind bescherte. Dazu gesellte sich eine Nocke superseidiges Topinamburpüree (mit geringem Sellerieanteil). Ein paar in vorzüglicher Kalbsjus geschwenkte Morcheln und Selleriestücke rundeten den Fleischteller wunderbar ab. Das Filet zerging auf der Zunge. Das Püree tat es ihm gleich. Und die Kalbsjus hätte mich fast als Keramikablecker überführt. Klassischer Gang mit ganz viel Klasse.
Filet vom Charolais Rind
Bevor uns der Service beim Nachtisch „Steine“ in den Weg legen sollte, erfreute man uns mit einem kleinen Prä-Dessert. Nashi-Birne, Espuma von weißer Schokolade und Yuzu hatten sich unter einer flaumigen Nocke Joghurt-Sorbet verschanzt. Sogar an ein wenig gepoppten Reis fürs Mundgefühl wurde gedacht.
Joghurt-Sorbet mit Nashi-Birne, Espuma von weißer Schokolade und Yuzu
Eine leicht fruchtige, nicht allzu süße Überraschung vor dem „steinigen“ Weg zum Finale.
Man sollte ja in Gerichte nicht immer allzu viel r(h)ein-interpretieren, aber was den Nachtisch des kleinen Menüs anging, konnte ich dann doch nicht anders. In der Umgebung von Neupotz findet man aufgrund der Nähe zum Rhein bestimmt haufenweise Kieselsteine. Vier von professioneller Pâtissier-Hand nachgebaute, essbare Exemplare befanden sich zusammen mit grünem Matchacrumble und schwarzem, karamellisierten Sesam auf unseren Desserttellern.
The Stones
Von einer dünnen Hülle aus Zartbitterschokolade umgeben, zeugte das Innenleben der „Stones“ von schaumiger bzw. flüssiger Exotik. Eine intensiv säuerliche Maracuja-Emulsion floss aus einem der Steinimitate nachdem sein Schokopanzer durchbrochen war. Die anderen waren mit fluffiger Mango-, Maracuja- und Haselnussmousse gefüllt. Ein optisch wie kulinarisch gelungener Schlusspunkt, den das kleine Menü kurz vor der Zielgeraden hinlegte.
The Stones...crashed
Bevor wir die Neupotzer Genuss-Stätte verließen, wurden wir noch großzügig mit ein paar süßen Leckereien aus dem Mignardisen-Sortiment bedacht. Den verschiedenen Macarons und Schokoquadern (Ruby Chocolate…) konnten wir einfach nicht widerstehen.
Auswahl an Mignardises
Der Preis erschien uns für das Gebotene mehr als angemessen. Foie Gras Crème Brulée, Vin Jaune Beurre blanc, Rinderfilet und „Stone“-Dessert waren meine persönlichen Highlights an diesem Abend, an den ich während des „Lockdowns“ noch lange denken musste. Und von dem ich auch lange gezehrt habe. Hoffentlich übersteht das Kronenteam diese Krise und wir sehen uns bald mal wieder. Der Stern über Neupotz darf nicht erlöschen.