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Wie es zu diesem Rendezvous mit ganz viel Pfälzer Lebensgefühl kam, sei kurz beschrieben. Der Besuch aus dem (mittel-)hohen Norden war an jenem Wochenende zu Gast in der Pfalz und meine erste Wahl, die Weinstube „Alte Kelter“ in Mörzheim, war doch tatsächlich ausgebucht an diesem Abend. Auch beim „Dyck“ in Mühlhofen war kein Platz mehr frei. Beim „Hoppeditzel“ in Impflingen erntete ich am Telefon auf meine Anfrage nur eine mitleidige Absage. Ich stand unter einem gewissen „Weinstuben-Zugzwang“, denn man möchte dem „Weservolk“ ja schließlich pfälzische Gastlichkeit auf einem adäquaten Vesperteller servieren.
Nach Neustadt fahren in die „Eselsburg“? Da braucht man Freitagabends gar nicht erst anrufen. Außerdem gibt es ja noch ein paar gute Stuben, die im näheren Umkreis beheimatet sind. Die Weinstube „Zur Blum“ in Landau hatte nach 20 Uhr wieder Plätze frei und wäre sicherlich eine gute Option gewesen, hätte da nicht der „Mathis“ aus Klingenmünster (bei uns unter dem Decknamen „Eschbach-Süd“ ein Begriff) am Telefon sofort grünes Licht gegeben.
Klingenmünster ist wegen seiner psychiatrischen Klinik eher bei Alkoholikern und Burn-Out-Patienten ein Begriff. Bei Pfalz-Gourmets und Feinschmeckern eher weniger. Obwohl der Ort mit dem „Stiftsgut Keysermühle“ und dessen Slow-Food-Restaurant „Freiraum“ auch kulinarisch mittlerweile von sich reden macht.
Wir parkten direkt an der Wine-Route und standen wenig später vor der Hausnummer 66, einem stattlichen Anwesen, dessen Außenfassade stolz sein Fachwerk zur Schau stellt. Die Parkplätze direkt am Gasthaus waren alle belegt, weshalb wir den kleinen Laufweg gerne in Kauf nahmen. Auf einer auffällig angestrahlten Schiefertafel standen schon einmal ein paar Empfehlungen in Kreide angeschrieben. Kastaniensuppe, Cordon Bleu, Rumpsteak und Flammkuchen – allesamt Klassiker elsässisch-pfälzischer Regionalküche, deren wohlklingende Namen unseren Hunger nicht gerade weniger werden ließen. Wir betraten die Weinstube durch die schwere, in einem Rundbogen eingefasste Holztür.
Drinnen erwartet den Gast eine urig-gemütliche Stube, die wie aus einem Bildband über die gastfreundliche Weinregion Pfalz entnommen wirkt. Was anfänglich noch etwas folkloristisch daherkommt, weicht ganz schnell einem Pfälzer Heimat- und Lebensgefühl, das spätestens beim Erreichen der Gaststube aus jedem Eck hervorsticht und dem man sich nur schwer entziehen kann. Rustikales Mauerwerk aus Sandstein, eine Decke, die mit derben Fassdauben verkleidet ist, blanke Wandbänke aus Holz, deren Bequemlichkeit mit ein paar losen Sitzkissen gewahrt bleibt. Der prächtige Kachelofen spendet wohlige Wärme. Neben ihm ist auch der stattliche Wandschrank aus der familiären Erbmasse für die einzigartige Atmosphäre in der „Mathis-Stube“ verantwortlich.
Doch an diesem Freitagabend kommen wir nicht in den Genuss der „First-Lounge“. Dafür kam mein Anruf einfach zu spät. Der Hauptgastraum war nämlich knallvoll und es ging da drin schon ganz schön trubelig zu. Jakob Mathis, der Sohn des Inhaberurgesteines Wilfried, empfing uns und führte uns in eine Art Gästesaal, um den die Weinstube erweitert wurde. Diese sogar noch etwas größer erscheinende Räumlichkeit wird als Weinverkostungsraum und für größere Gesellschaften genutzt. Oder eben wenn in der eigentlichen Weinstube kein Platz mehr ist. Auch hier waren schon etliche Tische belegt. Eine größere Gruppe hatte es sich an einer langen Tafel bequem gemacht. Man war guter Dinge und es gab anscheinend viel zu lachen. An unserem Tisch saßen noch zwei ältere Herren, die ihr Abendbrot mit einer Flasche rotem Mathis-Wein einnahmen. Wir wurden vom Junior kurzerhand an den Tisch dazu gesetzt, was in der Pfalz ja nicht unüblich ist.
Inhaber, Winzer und Weinstubenwirt Wilfried Mathis war selbst nicht zugegen. Seit 1988 wird das Lokal von ihm geführt. Vorher war es eine sogenannte „Straußwirtschaft“, ein lediglich saisonal geöffneter Gastbetrieb, bei dem es nur ein paar kleinere, meist kalte Gerichte zum Wein dazu gab. Auf meine Nachfrage hin, teilte mir sein Sohn mit, dass er sich derzeit im Krankenhaus befinde. Da ist es doch schön, wenn man sich auf seine Familie verlassen kann, die den Laden auch ohne den Hausherrn schmeißen. Doch der Kultwirt aus Klingenmünster, dem diverse Verbindungen zur Südpfälzer Kunstszene (siehe Flaschenetikette seiner Weine!) nachgesagt werden und dessen besonderes Verhältnis zur Gewürzinsel Sansibar und dem afrikanischen Kontinent in Form lebensgroßer Holzfiguren sichtbar wird, fehlt natürlich nicht nur den Stammgästen.
Doch Sohnemann Jakob fährt im Service ein ähnlich unterhaltsames „Mundart-Programm“ und bringt den legendären Satz seines Vaters „Hänner schunn b’schdellt?“ („Habt ihr schon bestellt?“) genauso dialektgefärbt und authentisch über die Lippen. Da fällt der Apfel wohl nicht weit vom Stamm. Pfälzisch ist hier Amtssprache, weshalb der Tourist aus Karlsruhe oder Heidelberg so eine provinzielle „Sprachoase“ auch ganz gerne aufsucht. Außerdem sind hier die gutseigenen Weine, sowohl im offenen Ausschank als auch in der Flasche, noch verhältnismäßig günstig zu erwerben.
Schlägt man die Speisenkarte auf, wird man kurz über die Geschichte der Weinstube und ihre kulinarische Ausrichtung informiert. Mehr als 30 Gastrojahre werden hier auf 3 Generationen verteilt. Da dürfen auch ein paar Sätze über das eigene Weingut, die bewirtschaftete Rebfläche und die angebauten Rebsorten nicht fehlen. Und – Achtung Wortspiel – „Pfalz Sie sich erholen wollen…“, gibt es auch noch ein Gästehaus, auf das ganz nebenbei hingewiesen wird.
Beim Speisenangebot versucht man sich etwas abseits des üblichen Weinstuben-Einheitsbreis zu bewegen. Das gelingt mit den beiden Haus-Spezialitäten, dem Königskotelett in Rotwein (mit Rotkraut, Semmelknödel und Salat für 16,80 Euro) und den hauseigenen Bratwürsten mit grünem Sansibar-Pfeffer, Apfelmeerrettich, Weinsauerkraut und Bratkartoffeln (13,80 Euro). Auffällig hier, der Teller mit den pfeffrig-aromatischen Bratwürsten kostete schon vor sieben Jahren so viel. Schön, dass da noch manche ihre Preise stabil halten.
Bei den Pfälzer Spezialitäten trifft man auf die üblichen Verdächtigen. Im Herbst gibt es saisonbedingt den Kastaniensaumagen (mit Rotkraut für 10,80 Euro) und dem in Klingenmünster geborenen Schriftsteller und Begründer der pfälzischen Volkskunde, August Becker, wird gleich mal ein ganzer, mit der fleischlichen Dreifaltigkeit (Saumagen, Leberknödel und Bratwurst) bestückter Teller gewidmet. Für 12,80 Euro lässt der mit ordentlich Weinsauerkraut servierte „August Becker Teller“ sowohl qualitativ als auch von der Menge her keine Wünsche offen. Ich habe mich selbst davon überzeugen können, denn meine Wahl fiel auf den klassischen Regional-Dreier mit Kraut.
Zusätzlich werden noch ein paar saisonale Empfehlungen angeboten. Der Rinderbraten von der Oma mit „Nuudle unn Sooß“ (14,80 Euro) klingt da genauso lecker wie das mit Münsterkäse gefüllte Cordon Bleu (mit Bratkartoffeln und Salat für 16,80 Euro) oder das hausgemachte Nougat Parfait mit Zwetschgenkompott (6,80 Euro). Daneben stehen noch einige wenige vegetarische Gerichte, diverse Salate sowie sechs verschiedene Sorten Flammkuchen im Speise- und Getränkebuch.
Für Weintrinker ist nahezu das komplette Portfolio des Weingutes Mathis erhältlich. Dieses wird von Jakobs Bruder Ingo geführt. Ihre neue Hausweinlinie trägt den werbewirksamen Namen „Heimatgefühle“ und schon ihr Logo mit der Meise im Landeanflug macht ganz schön was her. Also warum nicht eine Flasche Weißwein-Cuvée davon ordern? Im Moment ist sie nur in Weiß und Rosé erhältlich. Die rote Heimatgefühl-Cuvée kommt erst Ende des Jahres in die Flasche. Der Preis von 11 Euro (Flasche!) ist natürlich ein Schnäppchen. Die anteilsgleiche Mischung aus Weißburgunder und Auxerrois-Trauben hatte eine angenehme Säure und duftete fruchtig im Glas.
Die Wartezeit aufs Essen zog sich ein wenig. Schuld daran waren wohl die größere Gesellschaft, die neben uns tafelte sowie die Tatsache, dass wir zu den letzten Gästen zählten, die an diesem Abend noch dazu stießen. Denn zu Stoßzeiten kann es in der Weinstube Mathis schon einmal etwas dauern. Vielleicht könnte man ja bei den relativ einfachen Pfälzer Gerichten ein paar Abläufe in der Küche optimieren, um hier den hungrigen Gast nicht zu lange „schmoren“ zu lassen.
Mein „August Becker Teller“ sah richtig gut aus. Die Bratwurst krümmte sich um den Leberknödel im Zentrum, der sich noch als absolutes Highlight entpuppen sollte. Die angebratene Scheibe Saumagen war lässig an das Häufchen Weinsauerkraut angelehnt. Herzhaft saure Grundaromen dominierten auf dem Teller. Die gebratenen und gekochten Fleisch- bzw. Wurstspezialitäten Pfälzer Provenienz alle auf qualitativ hohem Niveau. Vielleicht hätte man den Einsatz von Pfeffer bzw. Pfefferkörnern etwas zurückhaltender gestalten können. Auch von meinen Begleitern wurden die herausragenden Leberknödel, die selbstverständlich mit der obligatorischen braunen Soße serviert wurden, gelobt. Sie hatten genau die richtige Konsistenz (schön fluffig) und schmeckten deutlich besser als das, was man so auf Weinfesten oder Pfälzerwaldhütten vorgesetzt bekommt.
Der Apfelmeerrettich zur Sansibar-Pfeffer-Wurst hätte ruhig etwas mehr Schärfe abkriegen dürfen. Die beiden Würste waren dagegen absolut eigen im Geschmack. Der grüne Pfeffer verlieh ihnen eine ungewöhnlich pikante Note, die sich gut mit den knusprigen Bratkartoffeln und dem Sauerkraut vertrug.
So gesehen war es nicht nur in Sachen Kulinarik ein rundum gelungener Pfälzer Abend, den die Gäste aus dem Bremer Norden sichtlich genossen und bei dem – auch dank der leckeren Weißwein-Cuvée – schon ein paar „Heimatgefühle“ aufkamen. Dem Leitspruch von Mathis jr., „Trinkt Wein und liebt euch!“ kann man ja gerade in der heutigen Zeit gar nicht genug Folge leisten. Und wenn man dann auch noch durch das Wassertrinken zum Gutmenschen wird (Jakob Mathis unterstützt die Organisation „Viva con Agua“ indem er ihr Quellwasser in der Weinstube ausschenkt und einen eigenen Wein für die Wasserhelfer kreiert hat, Anm.), kann das Fazit ja nur lauten: Hammer-Abend!