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Das hielt die träge Masse an Aspiranten nicht davon ab, mit der Brockenbahn den langen, aber harmlosen Aufstieg zu umgehen. Wir machten uns selbstverständlich „by fair means“ von Schierke aus auf den Weg zum Schicksalsberg der Anhalter-Sachsen. Der Volksfeststimmung auf der Eiskuppe konnten wir jedoch nur mit einem schnellen Abstieg entgehen. Trotzdem war es ein eindrucksvolles Erlebnis, das von der Freude auf das geplante Abendessen in der Weinstube am Brühl zusätzlich befeuert wurde.
Nach diversen Besuchen in Etablissements mit eher gutbürgerlicher Kulinarik sollte es am letzten Abend in das gastronomische Aushängeschild der Welterbestadt Quedlinburg gehen. Die Weinstube am Brühl ist das einzige Restaurant, das im heiligen Guide-Rouge eine Erwähnung in Form einer „Assiette“ findet. Auch die Flachzangen aus dem Hause G&M haben die im Romantik Hotel „Am Brühl“ untergebrachte Genießeradresse mit einer ordentlichen Punktzahl ausgestattet.
Ausgezeichnete Vorzeichen also, um mit einer gewissen Erwartungshaltung in der von Küchenchef Sebastian Lorenz und Restaurantleiterin Peggy Wölfer betriebenen „schönsten Stallung Quedlinburgs“ in der Billungstraße aufzuschlagen. Auf dem hoteleigenen Parkplatz wurde des Volkes Wagen ordentlich verwahrt. Ein freundliches „Guten Abend“ erreichte uns beim Passieren der Hotellobby, von der aus wir über einen stimmungsvoll beleuchteten Innenhof die in einem separaten Gebäude untergebrachte Weinstube erreichten.
Über den Hof geht's zur Weinstube
Beim Eintritt: „Wow!“. Wir tauchten ein in die gediegene Atmosphäre eines stimmig ausgeleuchteten Gastraums, der mit preußischer Kappendecke und gusseisernen Säulen den Charme der damaligen Architektur selbstbewusst zur Schau stellte.
Innenansicht 4
Trotz modernem Mobiliar und gehobener Landhausoptik kann man sich noch gut vorstellen, wie es wohl früher hier zuging, als sich in der ehemaligen Stallung noch sieben Kühe gegenüberstanden.
Eine gut geschulte, in klassisch weißem Hemd agierende männliche Servicekraft, die frappierende Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Edward Norton hatte, nahm uns freundlich in Empfang. Von seinem entspannten Humor profitierte an diesem Abend nicht nur unser Tisch. Er trug deshalb in sehr positivem Sinne zur lockeren Atmosphäre in der Weinstube bei. Apropos Weinstube. Natürlich versteht man in meiner Heimat unter diesem Begriff etwas völlig anderes.
Hier erinnerten lediglich der mit reichlich Flaschenware gefüllte, in die Wand eingelassene Weinschrank sowie eine aus diversen, mit entsprechenden Brandings versehenen Weinkistenfronten zusammengepuzzelte Wandcollage an den namensgebenden Rebsaft – wenn auch auf eher auf elegant-subtile Art und Weise.
Innenansicht 2
Rustikal wirkte hier nur die bereits erwähnte Backsteindecke, die schmiedeeiserne Deckenleuchte und der mit Terrakottafliesen ausgelegte Boden. Auf den in weißes Leinen gehüllten Tischen herrschte dagegen auf Hochglanz polierte Eleganz. Gefaltete Stoffservietten in Form von Bischofsmützen und vornehm wirkende Teelichthalter aus Glas inklusive.
Innenansicht 3
Vereinzelte, auf die Tische ausgerichtete Spots ließen die weiße Tischkultur erstrahlen. Die ausgesparten, weniger illuminierten Zwischenräume trugen zur äußerst gemütlich wirkenden Genussumgebung bei. Intime Tischverhältnisse also, und das nicht nur für „GastRomantiker“.
Strahlend weiße Tischkultur
Fast alle Tische waren an diesem Donnerstagabend belegt. Der Altersschwerpunkt des Publikums lag zwischen 30 und 50 Jahren. Ich fühlte mich also in bester Gesellschaft. Keine grau melierten Einzelesser, die nichts Besseres zu tun haben, als ihr Handy mit Beobachtungen bezüglich des Interieurs und des Publikums zu füttern. Kurzum: ein wunderbarer Rahmen für einen genussvollen Abschluss unseres Harz-Trips.
Optimal gepolstert saß es sich auf komfortablen Wandbänken und nicht minder bequemen Stühlen. Speisen- und Weinkarte ließen auch nicht lange auf sich warten und so genossen wir die Einlesezeit in das klassisch-regional anmutende Kochrepertoire von Sebastian Lorenz.
Ein Blick in die Karte
Zwei Suppen – Kerbelknolle und Wildconsommé – bildeten zusammen mit der Wild-Rotwurst und der Königskrabbe die kulinarische Vorhut, ehe es mit Entenbrust, Hirschrücken und dem „Besten vom Aubrac-Rind“ zu den fleischlichen Genüssen überging. Ikejime Bachsaibling und Filet vom weißen Heilbutt warteten hingegen auf potenzielle Fischvertilger. Zusätzlich zum À-la-Carte-Angebot wurde nach ein aus fünf Gängen bestehendes „Weinstuben Menü“ offeriert (Komplettpreis 70 Euro, mit Weinbegleitung 90 Euro). Aus diesem ließen sich auch einzelne Gerichte ordern.
Bei der reich bestückten Flaschenweinkarte war man meines Erachtens etwas zu oberflächlich aufgestellt. Da versuchte man jeder deutschen Weißweinregion mit ein paar Flaschen gerecht zu werden, anstatt sich schwerpunktmäßig auf wenige signifikante Gegenden zu konzentrieren. Nicht anders bei den roten Kreszenzen. Tedeschi (Venetien) und Fontanafredda (Piemont) für den italien-affinen Etikettensäufer versprachen da noch den meisten Spaß im Glas.
Warum man seine kostbaren Kellerkapazitäten mit spanischer, südafrikanischer, südfranzösischer und sizilianischer Durchschnittsware vergeudet, war mir allerdings schleierhaft. Die drei Vertreter aus Pfälzer Landen, darunter die Ursprung-Cuvée vom Blockbuster Schneider aus Ellerstadt und der Mainstream Spätburgunder vom Weingut Knipser aus Laumersheim, standen sinnbildlich für den fehlenden Tiefgang der Weinkarte.
Da lobte ich mir doch eher das Angebot an offen ausgeschenkten Weinen. Zwischen 14 verschiedenen Rebsäften (siebenmal weiß, sechsmal rot und einmal rosé) konnte man da glas- oder karaffenweise wählen. Das jedoch zu durchaus stolzen Preisen. Natürlich waren es keine Spitzengewächse, die da der durstigen Kundschaft ins Glas gegossen wurden, aber in dem solide wirkenden Querschnitt würde sich bestimmt die ein oder andere Entdeckung machen lassen, so meine zugegeben etwas naive Herangehensweise in Sachen Weinbegleitung.
Ich wollte auf Nummer sicher gehen und ließ einen halben Liter Condado de la Vega aus dem Rioja (Avelino Vegas) für gerade noch erträgliche 15 Euro kommen. Ein klassisch trockener 3,50-Euro-Tempranillo (die Flasche), der zwar keine besonders eindrucksvollen Gaumeninformationen bereithielt, aber eben auch nicht komplett versagte. Positiv formuliert, war das ein samtig runder Essensbegleiter, der den Preziosen auf dem Teller keinesfalls die Schau stehlen sollte. Dazu fiel der „Condado de harmlos“ einfach zu glattgebügelt aus.
Mit ein paar Scheiben Brot (Weiß/Roggen/Körner)
Gemischte Brotauswahl
und einem geschmacklich unauffälligen Kräuterschmand
Kräuterschmand vorweg
richtete der Service einen ersten Gruß aus der Küche bei uns aus.
Als „echtes“ Amuse schickte sie ein schaumig geschlagenes Süßkartoffelsüppchen im Kleinformat, das prima mit der geräucherten Makrele an Romanasalat und Gurken-Brunoise harmonierte.
Süßkartoffelschaumsüppchen mit geräucherter Makrele als Amuse
Die Süße der Kartoffel band die säuerlichen Noten vom Salat gut ein. Der salzigen Würze der Makrele begegnete man mit subtiler Gurkenfrische.
Geräucherte Makrele an Romanasalat und Gurken-Brunoise
Ein gelungener Auftakt, der unsere Freude auf die Vorspeisensuppen noch anheizte.
Meine Frau hatte sich für die Crèmesuppe aus der Kerbelknolle (7 Euro) entschieden, die mit ihrem hübsch verzierten Tellerrand zunächst für Aufsehen sorgte. Auf einem halbkreisförmigen Band aus Walnusskrokant hatten es sich ein paar Tupfer Kerbelknollenpüree bequem gemacht. Dazwischen sorgte Pomelo-Fruchtfleisch häufchenweise für angenehmen Säureschub. Mit ein paar Blättern von der Zorri-Kresse wurde dem Arrangement auf dem Tellerrand noch ein wenig Würze verliehen.
Crèmesuppe aus der Kerbelknolle
Die ging dem eigentlichen Protagonisten im Souterrain des Porzellans leider völlig ab. Ein Probierlöffel von dem gustatorisch recht blassen Knollensüppchen brachte zwar den typisch nussig-süßlichen Geschmack des gesunden, aber eher seltenen Wurzelgemüses zu Tage, aber irgendwie fehlte mir der „Knefler’sche Würz-Wumms“ (Weinstube Brand, Frankweiler, Anm.), den ich bei solch cremigen Winterterrinen besonders schätze. Wer schon einmal eine geschmacksneutrale Kastaniensuppe ausgelöffelt hat, kann sich dieses Kerbelknollenerlebnis ganz gut vorstellen. Meine Frau konnte sich schon am Tag darauf nicht mehr an den Geschmack ihrer Suppe erinnern. Sie hatte wohl keinen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen.
Ganz anders sah es bei mir aus. Ich hatte die aus pürierter Steckrübe, Dashi, Jakobsmuschel und Waldpilzen bestehende, am Tisch angegossene Suppe aus dem Weinstuben Menü geordert. Die 10 Euro waren gut investiert. Ein erdig-sämiges Umami-Erlebnis, dessen profunde Dashi-Basis am Gaumen ordentlich Eindruck machte. Die kurz angebratene Jakobsmuschel bestach durch eine hervorragende Qualität. Noch glasig beim Anschnitt zog sie in der heißen Brühe perfekt gar. Zusammen mit den Pilzen und dem pürierten Wintergemüse war das eine aromatisch duftende, stimmig ausbalancierte Liaison von Wald, Erde und Meer. Ich war begeistert.
Suppeneinlage: Jakobsmuschel, Steckrübenpüree, Waldpilze
Die Dashi wird angegossen
Mein Zwischengang, der in der Karte mit den schlichten, aber appetitanregenden Wörtern Wild-Rotwurst / Kartoffelbrot / Schalotte / Nashi (14 Euro) bewusst spärlich umschrieben wurde, entpuppte sich als eigenwillige, gefällig arrangierte Interpretation des Klassikers „Himmel un Ääd“.
Himmel unn Ääd modern interpretiert
Anstelle von Apfel fungierte kleingehäckselte Nashi-Birne, die mit Röstzwiebeln etwas aufgepeppt wurde, als süßliches Pendant zur erdig-würzigen Blutwurst.
Wild-Rotwurst / Kartoffelbrot / Schalotte / Nashi
Diese lag als saftiges, von einer knusprigen Kartoffel-Panko-Hülle eingefasstes Blunzkissen vor mir. Der Zusatz „Wild“ spiegelte sich einerseits in der etwas diffusen Optik des Gerichts wider, erklärte jedoch primär die wildschweinische Herkunft der verwendeten Blutwurst.
Das Blutwurstkissen
Und wo war die Erde? Die steckte natürlich im sogenannten „Kartoffelbrot“, das als recht trockene, geschmacklich eher unscheinbare Kartoffel-Blutwurst-Schnitte den Mittelpunkt des Gerichts ausmachte.
Kartoffel-Blutwurst-Schnitte
Ein paar Tupfer Nashi-Gel und einige ganz dezent nach Meerrettich schmeckende Saucenkleckse rundeten diese harmonische Kreation angemessen ab. Die Blunzpraline stahl der etwas langweiligen Schnitte in geschmacklicher Hinsicht eindeutig die Schau.
Das Blutwurstkissen im Anschnitt
Und doch fehlte mir bei diesem Teller das gewisse Etwas. Der letzte Kick am Gaumen blieb leider aus.
Wir hatten uns im Hauptprogramm auf Fisch und Fleisch festgelegt. Meiner Frau kam der nach Ikejime-Methode zur Strecke gebrachte Bachsaibling mit Fregola, Pecorino und Rettich (25 Euro) gerade recht. Dem Besten vom Aubrac-Rind (38 Euro) konnte ich nicht widerstehen.
Natürlich war meine Gattin als treue Sardinien-Verehrerin gespannt, was der mit Kugelpasta und dem Lieblingskäse der Sarden veredelte Saibling so konnte. Auch der optische Eindruck, des mit reichlich Schaum auf der Mütze servierten Lachsfisches aus dem Süßwasser war durchaus anständig.
Bachsaibling (Ikejime-Methode), Fregola, Pecorino und Rettich
Jedoch, der geneigte Leser wird es ahnen, auch hier fehlte ein wenig die klare Geschmackskante. Das war hübsch anzusehen und durchaus auch angenehm zu essen. Nur das Aha-Erlebnis auf der Zunge blieb ihr auch diesmal verwehrt. Zu „brav“ abgeschmeckt und deshalb latent langweilig, so fiel ihr etwas enttäuscht klingendes Fazit aus.
Mich hatte da schon die heilige Dreifleischigkeit gepackt. Herrlich mürbes Rindergulasch bedeckte zwei saftige Tranchen von der sous-vide gegarten Rinderschulter.
Das Beste vom Aubrac-Rind
Um diese zwei Fleischpreziosen schloss sich ein Kranz aus wunderbar seidigem Pastinakenpüree, perfekt auf Biss gegartem Wild-Brokkoli (=Stängelkohl), butterweichen Scheiben vom Tafelspitz sowie ein paar Pastinakenchips fürs krachende Mundgefühl.
Die heilige Dreifleischigkeit
Den Job als Saucenspiegel erledigte eine zum Tellerablecken feine Portwein-Reduktion. Für Fleischfreunde war das ein Winterteller par excellence. Die Qualität des Rindfleisches war hier der große Pluspunkt. Durch seine unterschiedlichen Zubereitungsarten ließ das Dreierlei vom Aubrac-Rind keine texturelle Langeweile zu. Ach, wie sehr wünschte ich mir dazu einen leckeren Tropfen aus der Chateauneuf-Abteilung meines Weinkellers.
Die Pâti-Abteilung zeigte sich beim süßen Finale auf der Höhe der Zeit. „Ruby“ nennt sich die rosarote Schokolade, welche seit ca. zwei Jahren die aus drei Sorten (weiß, dunkel, Vollmilch) bestehende „Tafelrunde“ um eine fruchtig-beerig schmeckende Variante erweitert hat. Beim Dessert vom Weinstuben Menü – schlicht mit „Ruby Schokolade“ (10 Euro) betitelt – kam die Schoko-Innovation aus dem Hause Barry Callebaut als Überzug einer mit Tonkabohnen-Mousse und Bergamotte-Gel gefüllten Süßspeise, die etwas die Größe eines handelsüblichen Eclairs aufwies.
Ruby-Schokoladen-Riegel
Eine Knusperschicht aus Amaranth verlieh dem fluffigen Schokoriegel etwas mehr Biss. Begleitet von einer Nocke zitrisch-saurem Bergamotte-Sorbet, einer Tonkabohnen-Crème aus der Spritztüte sowie ein paar Tupfern Yuzu-Gel war das ein süß-saurer Schlussakt ganz nach meinem Gusto. Nicht zu süß, dafür aber umso spritzig-herber.
Bergamotte-Sorbet / Tonkabohnencrème
Ein von meiner Frau initiierter Käseteller (13 Euro) soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Drei Sorten des mit Trauben, Johannisbeeren, Walnusshälften sowie ein paar Balsamicotupfen garnierten Ensembles waren aus Kuhmilch erzeugt. Einer stammte von der Ziege. Das Quartett bestand aus drei mehr oder minder würzigen Sorten Hartkäse, die mich zwar nicht vom Polster hauten, aber auch keine unaffinierten Rohrkrepierer in Sachen Geschmack darstellten. Der etwas weichere Vertreter kam im aromatisch duftenden Kräutermantel daher. Er war mein Favorit. Wir teilten uns diese üppige Portion, die sich als „kleine Käsespezialität“ auf der Rechnung wiederfand.
Käseteller
Knusper zum Käse
Mit gutem Bauchgefühl verließen wir Quedlinburgs erstes Haus am Platz. Der humorvoll-kompetent vorgetragene Service, das behagliche Ambiente und die mit Ambition zu Porzellan gebrachte Frischeküche von Sebastian Lorenz haben uns überzeugt. Ein wenig mehr Mut zu überraschenden Geschmacksbildern hätten wir uns dennoch gewünscht. Denn die hervorragende Qualität der hier verwendeten Produkte wäre mit dem ein oder anderen Aromaakzent sicher noch spannender am Gaumen. Aber das ist Kritik auf richtig hohem Niveau. In der Summe war es ein durchaus gelungenes „Fressfinale“ unseres Harztrips. Und herzlich war er definitiv…der Harz.