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Nach der Papierform standen die Chancen gut, denn das Horvàrth gehört mit zwei Michelin-Sternen seit 2016, 18 Punkten und weiteren Hoch- und Höchstauszeichnungen zur Spitzengruppe der Hauptstadt.
Chef Sebastian Frank, der das Restaurant inzwischen mit seiner Lebensgefährtin Jeannine Keßler auch betreibt, ist gebürtiger Österreicher und diese Wurzeln darf man der Küche durchaus auch anmerken.
Die elektronische Reservierung war unproblematisch und die telefonische Nachfrage sympathisch. Also machte ich mich gut gelaunt nach Kreuzberg auf. Das Paul-Lincke-Ufer hat sich in den letzten Jahren zu einem Gastro-Hotspot entwickelt. Entlang des Landwehrkanals, aber auch in Hinterhöfen findet man nicht nur höchst unterschiedliche Küchen, sondern auch noch verschiedene Preisniveaus.
Im Horvàrth hat man sich dem aktuellen, eher kühlen Gastrodesign mit ausgefeilten Lichtkonzepten überwiegend verweigert. Stattdessen erinnert viel helles Eichenholz besonders im vorderen Teil des recht tiefen Raumes an eine zünftige Gastwirtschaft.
Aber ohne Geweih, soweit ich sehen konnte. Für Behaglichkeit sorgen eine kleine Blumendeko und eine brennende Kerze auf jedem Tisch. Hell abgetönte Wände und Lichtspots sind aber schon von hinreichend Modernität. Dass hier das feine Dinieren „casual“ zugehen soll, bezeugen die recht übersichtlich eingedeckten Tische.
Das Besteck harrte in einem Kistchen auf dem Tisch der Selbstbedienung. Etwas aus dem sonstigen Rahmen die cremefarbenen Hochlehner, in den ich mal wieder (gefühlt) bis auf Tischkanten-Niveau versank. Natürlich bekam ich auf Nachfrage ein Kissen. „Natürlich“ deshalb, weil schon die Begrüßung durch meine Gastgeberin so freundlich, herzlich und offen ausfiel, dass ich mich vom ersten Moment an als gern gesehener Gast gefühlt habe. Der weitere Kollege im Service war vom gleichen Schlage, auch wenn er mein Lob mit einem Hinweis, er könne nicht anders, er sei eben Italiener abwehrte. Da hab ich aber schon andere Italiener erlebt...
Auch der Wechsel vom vorgesehenen Tisch an einen Fensterplatz und damit ins schnell schwindende Tageslicht für ein paar Fotos war kein Problem. Später wurde es bei Kerzenschein und überwiegend indirektem Licht recht schummrig; man merkt es den Bildern der letzten Gänge leider an.
Hier im vorderen Teil wurden bei leicht melancholischer Musik dann auch die anderen Gäste des Abends platziert, 5 Paare und ein weiterer einzelner Herr. Ob diese Ballung trotz des ansonsten leeren Lokals den kurzen Wegen fürs Personal geschuldet war oder die Kommunikation zwischen den Speisenden ankurbeln sollte, blieb offen.
Unangenehm war das nicht, die Gespräche an den Nebentischen waren nicht störend. Zumal etwas Konzentration auf das Essen den Genuss desselben erhöhte.
Seine Küche wird von Sebastian Frank als „emanzipatorisch“ bezeichnet. Das könnte hier wohl das Gegenteil von elitär sein, stellt aber vor allem heraus, dass alle Komponenten gleichberechtigt sind, es also keine Beilagen im üblichen Sinne gibt. Dadurch bekommen Gemüse eine höhere Bedeutung, auch wenn das Horvàth kein rein vegetarisches Restaurant ist.
Franks Philosophie führt zu visuell unspektakulären Tellern und Näpfen, bei denen nicht einzelne Produkte im Mittelpunkt stehen, sondern das geschmackliche Gesamtbild.
Es wurden ausschließlich zwei Menüs angeboten, 6 oder 8 Gänge (120/140€). In der aktuellen Karte sind die Gänge um jeweils einen reduziert, die Preise im Verhältnis leicht angehoben. Ich entschied mich für die kleine Auswahl und bat der Fastenzeit wegen um Verzicht auf Fleisch. Der Service bedauerte mich sogleich, denn so entging mir der Genuss des Blunzenbrotes. Typisch für die Gastfreundschaft hier wurde mir aber angeboten, das Brot mitzunehmen und für die Zeit ab Ostern einzufrieren! Auch Alkohol war noch ein No-Go. Aber natürlich wird im Horvàth eine überzeugende promillefreie Begleitung angeboten, die 10€ pro Glas kostete. Kein finanzieller Unterschied zur Weinreise übrigens, was mit der arbeitsintensiven Herstellung der meisten Getränke im eigenen Hause erklärt wurde.
Ausnahme der Aperitif: Alkoholfreier Secco von Lagen(!)-Traubensaft, in diesem Fall sortenreiner Silvaner, der für mich ein absolut typisches Bukett hatte und auch deutliche Säure mitbrachte. Ein Hoch auf das Pfälzer Weingut Möckli aus Nußdorf bei Landau und gleich noch ein zweites Gläschen (summa 16€).
Besteck nimmt man sich selbst aus einem kleinen Holzkästchen, aber für den ersten Küchengruß war der doppelwandige Plexiglasbecher vorgesehen, in den ein dampfend heißer Zwiebelsud mit Noten von Liebstöckel und Selleriesamen eingegossen wurde. 4 Stunden gezogen, offenbarte sich auf der Zunge ein ungemein tiefes Spiel von Süße und Würzigkeit, das noch lange am Gaumen präsent blieb. Auch, wenn ich nur ein knappes Stündchen Fußmarsch durch Kreuzberg hinter mir hatte, wurde sofort das Bild einer wärmenden Brühe auf der Hütte nach langer Wanderung durch die Kälte lebendig.
Mit dem Amuse kam auch das erste der inzwischen häufiger anzutreffenden Kärtchen, die für die detailverliebten unter uns Chronisten so überaus hilfreich sind.
Es folgte eine Brotauswahl, leider ja ohne die kräftige Blutwurst-Variante.
Das Roggensauerteigbrot mit Kümmel war ein guter Vertreter, aber verfallen war ich ab dem ersten Bissen den knusprig-fluffigen Langos, die mit feinem Knoblauch-Salz bedeckt waren. Ich konnte nicht anders, später am Abend musste ich erfolgreich um weitere Exemplare bitten, die die Küche natürlich frisch ausbuk.
Salzbutter mit alpenländischer Edelweißprägung und ein Kartoffelstampf mit Paprika waren rustikale Begleiter, aber eben auf ganz hohem geschmacklichen Niveau.
Als weiteres Amuse bouche wurden Chips von Linda-Kartoffeln mit einer süffigen Knoblauch-Crème serviert.
Darüber Raspel von in der Salzkruste intensiv gedörrtem Sellerie.
Das war einerseits zupackend salzig, ohne jemals ins Bittere abzukippen. Andererseits blitzte immer wieder die unfassbar prägnante Kartoffel im Wechsel mit dem erdig-süßen Selleriearoma auf. Ich hab ja nun wahrlich kein Problem mit Luxusprodukten, aber diese vermeintlichen Allerweltszutaten versetzten mich ins Verzücken.
Der erste Gang begann mit einem österreichischen Butterstriezl!
Dieser, gedacht für alle Gäste, wurde an meinem Tisch für den Abend angeschnitten und bescherte mir so eine himmlisch duftende, noch warme Scheibe, die statt einer Brioche die schmelzende, aus Kräuterseitlingen gewonnene Faux gras begleitete. Für Kontrast sorgte Apfelbalsam-Reduktion von David Gölles. Ich war noch so von meinem Brot und der dazu gereichten Marillenkernöl-Butter begeistert, dass ich doch tatsächlich ein Foto dieser „Pilzleber“ vergaß...
Im Glas erdiger gelbe Bete Saft mit etwas Kürbiskernöl.
Der nächste Gang hieß mit allem Understatement nur Gemischter Salat.
Brutal frische rohe Gemüse - Mairübchen, Radieschen, grüner Spargel - feine Streifen von Blattsalaten und Kräuter in einem angegossenen Gemüsesud mit Erdbeerkern-Öl, von dem ein verführerischer fruchtiger Frühlingsduft ausging. Zitronenzesten setzten frische Akzente, während Röstgewürze und die Basis der Räucherfisch-Crème zurückhaltend blieben. Super ausgewogene Variante und schwer beeindruckend, denn die knackig frische Textur blieb auch noch beim vierzigsten Kauen erhalten.
Das alkoholfreie Pairing, es dürfte die Petersilienwurzelmilch gewesen sein, war sehr dickflüssig, fast wie ein Dressing. Mir Schien das Getränk zu süß und auch zu mächtig zu dem Frische-Turbo auf dem Teller.
Nach diesem Wimmelbild stand der nächste Teller für fast schon puristische Reduktion.
Eine ausgezeichnet gegrillte Tranche Lachsforelle, die in der Nase wie am Gaumen gleichermaßen beeindruckte. Ein großes Stück Rhabarber als „salziges Kompott“ angekündigt und eine Nocke Haselnuss-Anchovis-Paste mit ganz authentischem Fischgeschmack (im positivsten Sinne!) verloren sich ein klein wenig auf dem Teller. Erst, als eine Mole nach Art des Hauses, nämlich Röstgemüsereduktion mit dunkler Schokolade angegossen wurde, ergab sich zunächst optisch ein harmonischeres Bild. Geschmacklich war hier mit wenigen Mitspielern einiges los, denn die fruchtige Säure des Rhabarbers konterte die erdige Süße der Mole. Der zarte, mittelfeste Fisch band diese Gegenspieler immer wieder ein.
Wahres Highlight war indes der begleitende Radicchiosaft mit Mandel-Zitronenöl, der von außen an Grapefruit erinnerte, aber am Gaumen viel mehr konnte: Säure, Bitternoten, Süße, Komplexität, die ich einem Gemüsesaft zuvor kaum zugesprochen hätte.
Und gleichzeitig Grund für eine überraschende Kritik. So phantastisch die Begleitung war, machte sie gleichzeitig den Rhabarber auf dem Teller völlig überflüssig!
Auf dem nächsten Teller variierte die Küche gekonnt Sellerie.
Gebacken, sich erst süßlich, dann salzig entfaltend, als Saat, mariniert mit Leindotteröl und mit Apfel zu einer frischen Sauce verarbeitet. Das korrespondierte mit einer nicht nur optisch, sondern auch vom nussigen Mundgefühl an Nutella erinnernden Crème, die sich als Kürbiskernöl-Vanille-Paste entpuppte. Das war schon herausfordernd, zumal die marinierten Scheiben noch arg fest zu kauen und mir daher zu grobschlächtig waren.
Der Selleriegang und die Pilzleber des Menüauftaktes werden in der Karte übrigens als „Siganture-Gerichte“ (Originalschreibweise) von Sebastian Frank heraus gehoben...
Das folgende Gericht kam ohne die kleine Gedächtnisstütze daher. Vielleicht, weil das Juvenilferkel durch eine buttrig braun gebratene Scheibe ersetzt wurde, die in der Konsistenz zwischen Toast und Polenta angesiedelt war und geschmacklich recht brav blieb.
Lauchgemüse und Pilzwürfel bekamen durch die etwas repetitive Röstgemüse-Reduktion Kraft. Großartig dagegen der auf einem Probierlöffel separat angebotene geeiste Pusztasalat von grünen Tomaten und Chili. Beides hätte sicher besser zum Schwein gepasst, die rein vegetarische Variante überzeugte nicht vollends.
Phänomenal erneut die alkoholfreie Begleitung. Molke mit Kren, Honig und Leindotteröl passte zu den kräftigen und scharfen Aromen großartig.
Der letzte Gang schloss den Bogen zur Kartoffel des Amuse.
Hier jedoch gekochte Bamberger Hörnchen mit geräuchertem Essig-Kohlrabi, der für den Biss sorgte und eine angenehme Säure mitbrachte. Für harmonisierende Einbindung sorgte eine Sauce aus saurem Rahm und Kümmel, zu Kartoffeln beides Klassiker. Das Pulver von getrockneten Steinpilzen für meinen Geschmack indes zu schwach.
Auch hier überzeugte das Pairing. Saft von Granny Smith und von Gala, geklärt auf 80 Grad wurde mit einem Nussholzhydrolat bestäubt, das den Geruch alter Holzmöbel verbreitete, aber doch verblüffend gut in die Aromenwelt des Tellers passte und mich in eine Holzhütte am See versetzte.
Der Verzicht auf Dessert fällt mir beim Fasten stets am leichtesten. Aber beim kleinen Rausschmeißer war es mit der Selbstdisziplin vorbei, zumal es natürlich auch hier nicht nur süß zu ging: Weiße Schokolade mit Petersilien-Öl und kandierten Kürbiskernen in einer essbaren Gaze beeindruckte mit kräuterigen Nuancen und feinem Crunch.
Ein kulinarisch nicht ganz einfacher Abend, der sicherlich kein alpenländisches Soulfood im landläufigen Sinne brachte. Hier wurde eine konzentrierte Rückbesinnung auf Produkte der bäuerlichen Küche geboten, die mehrfach einen Aha-Effekt auslösten: Ja, so MUSS das also schmecken! Dabei nicht plump oder anstrengend, sondern immer harmonisch.
Spannend und im besten Sinne zum Nach-Denken. Und für die Seelenwärme ist der super Service zuständig.