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ziehn die Schatten froher Esser.
Gut gefüllt die Tisch' am Südstern
und am Urban ist's nicht besser.
Und wieder ein Sonntag Abend in Berlin, was die Auswahl gehobener Gastronomie in fußläufiger Nähe deutlich einschränkt. Aber einige Kreuzberger Szenelokale lockten mich doch, als ich spontan vom Hotel aufbrach. Leider nicht nur mich. Die Abendsonne beschien proppenvolle Tische auf Terrassen und Bürgersteigen. Nur vor dem Herz&Niere, dem (nicht nur) auf Innereien spezialisierten, im Mai schon zweijährigem Projekt von Christoph Hauser und Michael Köhle sind die unbequemen Gartenstühle noch eingeklappt. Vermutlich auch Sonntags geschlossen, denke ich im Näherkommen. Und Schade!, denn der Erstbesuch vor einem knappen Jahr hatte sehr ansprechende, teils begeisternde Leistungen von Küche, Keller und Service gezeigt. Aber zu meiner Vorfreude kündeten dann Lampenschein und eine durch das Souterrain flitzende Gestalt, dass man nur noch nicht die Freiluftsaison eingeläutet hatte. Wie sich später heraus stellte, weilte Gastgeber Köhle auswärts, so dass die Bespielung der Außenplätze nur durch eine Person auch arg schwierig geworden wäre. Denn trotz des schönen Wetters wurde das Restaurant am Sonntagabend recht gut angelaufen. Ein Freundeskreis unüberhörbar aus der Schweiz, eine Familie aus Indien, Weinhändler (die sich lobend über die angebotenen Offenen äußerten), ein einsamer norddeutscher Müßiggänger. Bunt gemischt, soweit es die Preise zulassen, erneut keine Berliner zu identifizieren.
Ich kann mir einen Ecktisch aussuchen, von dem ich wie weiland John Wayne alles im Blick habe. Aus dem Lautsprecher über mir leise Soul und R&B. Es ist eingedeckt mit einmal Besteck, Wein- und geschliffenem Wasserglas, Stoffserviette und einer schlanken Kerze. Alles allerdings auf der blanken Holzplatte. Der rechteckige Raum wird durch einen großen Wanddurchbruch angenehm geteilt. Das geradlinige Design wird durch das viele mittelbraune Holzmobiliar ausgeglichen. Die Stühle sind hinreichend bequem, was schon eine positive Bemerkung ist. Auch als Kerzenständer dienen Holzstücke, die Astscheibe als Messerbänkchen hatte ich früher bereits erwähnt. Wohl auch bedingt durch den Fliesenboden sind die Gespräche an den anderen, auch weiter entfernten Tischen deutlich zu verstehen.
Ansonsten ist das Interieur im wesentlichen unverändert. Es finden sich inzwischen mehr Produkte aus eigener Herstellung, Apfelessig unterschiedlicher Lagerzeiten zum Beispiel oder schwarze Walnüsse. Vermutlich ist es ähnlich, wie im Tankstellengewerbe, im Nebengeschäft werden hohe Deckungsbeiträge erwirtschaftet. Was aber nicht per se gegen das Angebot spricht, so es nicht überhand nimmt - vom Vermarktungsmeister aus München haben wir hier ja unlängst gelesen.
Zu Sauberkeit und Toiletten gibt es nichts neues, unverändert gut und der Klasse angemessen im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten.
Auch der Service durch Viktoria Kniely ist weiterhin hoch zu loben. Charmant, engagiert, kompetent, flink, aufmerksam. Wie immer ist es ein gutes Gefühl, von einem Menschen umsorgt zu werden, der erkennbar Freude an seiner Aufgabe hat und diese dabei auch - schon fast zwangsläufig - "stets zur vollsten Zufriedenheit" erledigt. Hervor zu heben ist die Begeisterung für Wein. Gern werden zwei Nachfragen zur Karte geklärt, aber nicht, ohne sich (mit einer kleinen Entschuldigung) kurz anderen Gästen zuzuwenden, die um die Rechnung gebeten hatten. Wenn das Küchenteam mit "die Jungs" beschrieben wird, kommt das gar nicht aufgesetzt an, sondern natürlich-steirisch. Ein "Nachschlag" beim Wein wurde jeweils angeboten, Wasser nachgeschenkt. Die Frage nach meiner Zufriedenheit erfolgte jeweils beim Ausheben, während der Gänge aufgrund von deren "Größe" wäre das auch nur schwer möglich gewesen, ohne neben dem Tisch stehen zu bleiben.
Nur zweimal leichte Störgefühle:
Die Frage nach dem Aperitif kam, als ich noch nicht ganz meinen Stuhl wieder zurecht gerückt hatte. Als ich "nicht auf der Flucht hier" brummelte, wurde mir aber sogleich das hauseigene Kochbuch (s.o., Nebenerwerbsgastronomie) zum Stöbern und Ankommen angeboten.
Zum anderen wies die gereichte Karte unbemerkt noch nicht die leichte Preiserhöhung aus. Drei Gänge beginnen nach wie vor bei 38€, für jeden weiteren erhöht sich die Rechnung um einen Zehner, in der Karte waren noch 9€ vermerkt. Meine Frage, was denn geschehen wäre, wenn ich das erst bei der Rechnung bemerkt hätte, nahm Frau Kniely mit einem Lächeln: "Dann hätte ich mich bei Ihnen entschuldigt!" Soso... Aber ich hatte ja neulich im Internetauftritt gestöbert, dabei war es mir aufgefallen. Oder, wie jeder Rheinländer weiß: Es hätt noch emmer joot jejange!
Schon der Aperitif versöhnte mich mit dem etwas drängelnden Auftakt:
Kalte Ente, selbst angesetzt mit Holunderblüte als Aromat. Ausgewogen süß, fruchtig und herb. Der Clou ein sehr hoher und fester Schaum (Stickstoff?) auf der Bowle.
Auf der Rechnung nicht gesondert aufgeführt. Wenn das kein Versehen war, entweder als Teil der Weinbegleitung (unwahrscheinlich) oder als Aufmerksamkeit des Hauses (Danke!). Denn als zum Kaffee wieder die Holzkiste mit den selbst gemachten Pralinen und dem Hinweis "1€ pro Stück" angeboten wurde, habe ich doch noch einmal die Diskussion um Wirtschaftlichkeit vs. Gesamteindruck (s. meine erste Kritik) aufgegriffen. Denn nach wie vor wurde neben Brot und Butter kein Amuse gereicht und erneut lag meine Rechnung (knapp) im dreistelligen Bereich. Zum süßen Abschluss wurde ich dann auch eingeladen, das sei erwähnt. Angenehm fand ich, dass wir darüber ganz sachlich-freundlich reden konnten, auch bei teilweise unterschiedlichen Standpunkten.
In meiner zunehmend entspannten Stimmung nur durch Geschirrgeklapper aus der offenen Küche gestört, schritt ich diesmal zum Äußersten. Nachdem ich beim letzten Mal sowohl Fisch als auch Fleisch und Innereien gewählt hatte, entschied ich mich für das volle Programm - sechsmal bitte die nicht (mehr!) üblichen Stücke, denn einige Gänge entpuppten sich als Innereien durchaus im weiteren Sinne. (Dies auch an die ab hier eigentlich nicht mehr geneigten Leser, die sich bei Herz, Lunge, Pansen und Co. regelmäßig schütteln: Bleiben Sie an den Empfängern! Auch die Bilder mögen den Schauder mildern!)
Bei den Weinen wollte ich situativ zuschlagen. 4 Gläser sind es geworden, die mit 31€ ihren Weg auf die Kassa fanden.
Los ging es eben mit Scheiben von Weißbrot, Laugenteig und einem dunklem, malzigen Brot. Alle mit für den Sonntagabend erstaunlich knuspriger Kruste und lockerer Krume. Dazu mit Kürbiskernöl aufgeschlagene Butter, ein leckerer Auftakt, keine Frage.
Gang eins auf meinen ausdrücklichen Wunsch der Ochsenmaulsalat. Die süddeutsche Spezialität hatte ich beim vorigen Menue vermisst. Schön fein blättrig aufgeschnitten, mit schwarzen Walnüssen ebenfalls in Scheiben, roter Zwiebel und in Fichtenholz gereiftem Apfelessig. Ein fein-säuerlicher, erfrischender Auftakt, der durch Kräuter und Senfsaaten auch leicht pikant war.
Dazu gab's einen Nahe-Riesling vom Gut Hermannsberg.
Jederzeit wieder.
Es folgte ein schon optisch hervorragender Markknochen aus dem Kalbsoberschenkel. Zum Fett harmonierten auch geschmacklich Die farbenfrohen Komponenten Karottencreme, eingelegte Birne und Radicchiomarmelade. Die Präsentation in Kieselsteinen war schlau und gelungen.
Flüssiger Begleiter war ein Weißburgunder vom Weinhut Marcus Hees, ebenfalls Nahe.
Nach diesen eher bekannten Leckereien zog die Küche nun etwas an und kredenzte Lungenragout und Zunge vom Lamm auf braunen Linsen, roten Zwiebeln, Frühlingszwiebeln und einem ganz famos schmeckenden, im Ganzen angebratenen Möhrchen. Dieses leicht säuerliche Gericht schmeckte mir ausgezeichnet, die Lungenwürfelchen wie das mit feinen Röstaromen versehene Muskelfleisch fest strukturiert, aber nicht hart oder gar zäh. Auf sehr heißem, weißem Porzellan angerichtet, war lediglich der optische Eindruck eher langweilig, überwiegend Nuancen von braun. Vermutlich deshalb habe ich unbewusst das Foto vergessen. Oder aufgrund des straffen Grauburgunders vom badischen Tuniberg (Weingut von der Mark).
Weiter ging's mit einer Premiere, Milz hatte ich noch nicht. Erst recht nicht vom Auerochsen. (Erst recht nicht aus dem unteren - jaha, dem UNTEREN - Odertal. Aber man kann's auch übertreiben...). Hier als fluffige Frikadelle, das fragile Gewebe durchgedreht, mit etwas Paniermehl stabilisiert und angebraten. Kein sehr intensiver Geschmack, aber eine ungewöhnliche Konsistenz. Drapiert auf einer exakt gegarten Süßkartoffelscheibe und gekrönt mit Senfsaat und wildem Brokkoli. Schon so absolut gelungen. Das Türmchen stand jedoch in sensationell zarten Kutteln in einer feinen Rieslingsauce. Alle Geschmacksnuancen ganz fein austariert. Ein kulinarischer Höhepunkt!
Der nächste Gang wieder etwas bekannter, nicht desto weniger sehr überzeugend. Kalbsbries, mal gewürfelt und in Poularden-Nage gar gezogen. Ganz fein. Dazu junge Erbsen, nature und als intensives Püree. Und Sellerie, zunächst im Ganzen gegart, dann ein Stück angebraten. Das gab ein tolles kräftiges Aroma, das gleichwohl Platz für das Bries ließ!
Dazu konnte sich der spontan vergorene, unfiltrierte und ungeschwefelte Chenin Blanc vom swartländischen Gut Lammershoek gut behaupten (Man lese zu diesem Wein die launige, zutreffende Besprechung auf http://www.captaincork.com/lammershoek-hallo-du-stinker).
Zur Erfrischung hatte ich eine Kugel selbst gemachtes Sorbet für freundliche 2,5€ die Kugel geordert. Statt Mirabelle entschied ich mich für Brombeere. Die Nocke kam tiefrot mit einigen Industriebaisers (?) und konnte mich geschmacklich als einziges Produkt an diesem Abend nicht vollends einnehmen. Beeriger und, ja auch säuerlicher hätte ich mir das Eis gewünscht. Amaranthsamen und Kakaobruch steuerten aber gute Akzente bei, auch für das Mundgefühl.
Der Hauptgang sollte mangels Dessert (man muss sich auch bescheiden können...) der krönende Abschluss sein.
Er war es.
Vom Schwein wurden knuspriges Ohr, sanft ausgebackenes Hirn und saftig geschmorte Stücke aus der Oberschale serviert, napiert mit ihrer Jus und begleitet von einer Creme von roten Zwiebeln, kräftig angebratener Petersilienwurzel und Luftzwiebeln. Drei Texturen, drei Geschmäcker, wunderbar ergänzt durch leichte Schärfe, Süße, etwas Bitterkeit und Röstaromen. Auch der etwas extravagant designte Teller unterstützte diese für den Aller-Tage-Geschmack herausfordernde Komposition. Ein Schlussakkord, der lange nach hallte.
Eines Espressos, wie stets verlängert und mit 2,5€ bezahlt, hätte es nicht bedurft. Zumal nicht heiß genug serviert. Immerhin nach der oben beschriebenen Diskussion um die Kalkulation und kleine Aufmerksamkeiten an den Gast war ich auf eine im Haus hergestellte Mirabellenpraline eingeladen. Die dunkle Schokolade harmonierte schön mit der Fruchtfüllung.
Fazit:
Das Herz&Niere hat sich nochmals gesteigert und scheint angekommen. Die Leistung des Küchenteams um Andreas Hauser ist fokussierter auf das Produkt geworden. Die Charakteristika werden betont und sehr harmonisch ergänzt. Weinangebot und -Beratung lassen keine Wünsche offen. Der Service ist in besten Händen, das Ambiente unaufdringlich, aber angenehm.
Zum zweiten Geburtstag kann man nur gratulieren. Dem Team und erst recht den Gästen. Wer ausprobieren möchte, kann im Übrigen die Anzahl der Innereien-Gänge selbst bestimmen und niemand muss sich überraschen lassen. Indes: Es lohnt sich!