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Die meisten verdünnen jenes in frevelhafter Weise mit Wasser, da sie sich einbilden, es würde sich dabei um ein Erfrischungsgetränk handeln. Der kundige Bremer tut das prinzipiell nicht. Das macht ihn zwar sympathisch, aber leider auch deutlich rauschanfälliger.
Gern ist der reiselustige Best-Ager aus der Hansestadt in dieser Weingegend, die geographisch dem mittleren Pfälzer „Haardtland“ zugerechnet wird. Denn hier in der Toskana Deutschlands – oder wie andere sagen: der schönsten Weinbauregion unseres geliebten Bundeslandes (sorry, Nolux…) – findet er seit Jahren verlässlich sein Glück im Glas und einen einheimischen Partner in Wine (& Dine).
Auch ich freue mich jedes Mal, wenn Häuptling „Schluckender Specht“ einen Pfalzbesuch in Aussicht stellt. Die Wahl eines geeigneten Etablissements, um auf einen gemeinsamen kulinarischen Nenner zu kommen, gestaltet sich meist leichter als gedacht. Und das obwohl ihm ein zweifelhafter Ruf als kujonierender „Serviceschinder“ (= Felix Magath der Gastrokritik) nicht ganz ohne Grund anhaftet.
Da wählt man bevorzugt Läden, in denen man keinen Stammgaststatus zu verlieren hat oder zu deren Inhabern man kein besonders inniges Verhältnis pflegt. Grundsätzlich gilt: Je weiter weg sie vom eigenen Heimatort liegen, desto besser. Also warum nicht mal wieder zusammen in Neustadt einkehren?
Die Zwockelsbrück, seit Mai 2022 wieder mehr oder weniger fest in (Nieder-)Bremer Händen, gehört nämlich zu den wenigen (Pfälzer) Lokalitäten, die der wortgewaltige Schreiberling vom Weserstrand immer wieder gerne besucht (hat). Hier kennt er die verdauungsfördernden Maßnahmen. Hier mundet ihm nicht nur der korrespondierende Wein. Und auch mit den sympathischen Inhabern hat er es sich noch nicht komplett verscherzt. Dafür kennt man sich auch schon viel zu lange.
Da reservierte ich in entspannter Vorfreude einen Tisch für drei Personen an einem Mittwochabend im April (es müsste im Jahr 2024 gewesen sein…). Denn auch wenn Borgi gerne für zwei am Tisch säuft, stieß doch noch ein weiterer Gaumenfreund zu unserem zweikehligen Flaschenweinvernichtungskommando hinzu. Dieser kam aus dem (fernen) nördlichen Schwarzwald, hielt nach dem Passieren der Rheinbrücke kurz in Wörth an, um mich aufzugabeln und kutschierte mich nüchtern nach Neustadt und angetrunken wieder zurück.
Das habe ich jetzt vielleicht etwas unglücklich formuliert. Er, der mich chauffierende Oparazzo, blieb selbstverständlich den ganzen Abend über nahezu alkoholfrei, was ihm bei dem hohen Maß an vinophiler Geselligkeit bestimmt nicht ganz leichtfiel. Sein Beifahrer jedoch – nach Jahren der Vaterschaft in Sachen Trinkfestigkeit nur noch ein Schorle-Schatten seiner selbst – versuchte mit dem Bremer Senkkasten mitzuhalten und hatte später auf dem Heimweg mit den Auswirkungen der flüssigen Volksdroge zu kämpfen.
Herzlichen Dank, mein lieber Felix, für diese astreine Chauffeurleistung, der auch ein alkoholisierter Beifahrer nicht viel anhaben konnte! Und ein dreifach Hoch auf die fahrerunterstützenden Navigationsgeräte der neueren Generation.
Was sich während unseres leider viel zu kurzen Aufenthalts – die Zeit verging wie im „Trinkflug“ – in der altehrwürdigen Zwockelsbrück ereignete, kann ohne Umschweife als gelungener Gaumendreier inklusive Steuermann bezeichnet werden.
Nachdem wir den Boliden direkt vor der Treppe, die hinauf ins „Zwockelsglück“ führt, abgestellt hatten, stürmten wir das aus massivem Sandstein erbaute, mit Rundbogenfenstern ausgestattete Anwesen, das jede Menge Geschichte (und Geschichten) in sich trägt.
In der Brück da gibt's koa Sünd!
Einer der größten Geschichtenerzähler im kulinarischen Mikrokosmos dieses Portals (wenn nicht sogar der „Grögaz“ höchstselbst) war zu diesem Zeitpunkt bereits mit der freundlichen Wirtin zugange. Bald ließ er von ihr ab und begrüßte seine beiden gerade angekommenen Kaukumpanen in herzlich-nordischer Manier (ganz ohne „Moin“).
Es war noch nicht viel los in der „Brück“ und wir durften an einem strategisch gut gelegenen Tisch unweit des Durchgangs zur Küche unsere leidlich bequemen Plätze einnehmen. Besonders den beiden älteren Herrschaften verlangte die harte Holzbank so einiges ab. Dafür hatten wir aber ein paar schöne Blicke durchs Fenster auf das abendliche Neustadt.
Die Chefin des Hauses, Frau Priscilla Niederbremer, schmiss an diesem Abend in gewohnt souveräner Manier den Service. Auch mit dem schwierigen Gast aus dem Norden kam die nicht gerade auf den Mund gefallene Frau von Küchenchef Sven – wobei sie an jenem Mittwoch die Mutter des Küchenchefs war, da ihr Mann nicht zugegen war und der Sohnemann den Herd besetzte – wunderbar klar und erfüllte ihm sämtliche (Schaum-)Weinwünsche.
Los ging es mit einem Aperitif aus dem fernen Südafrika, wo Sven Niederbremer acht Jahre lang als Koch tätig war (Johannesburg). „Rock Shandy“ nannte sich der aus aromatischem Angostura-Bitter, Mineralwasser, Zitronenlimo und ein paar Spritzern Zitrone gemixte Drink, den uns die Chefin zum Auftakt spendierte. Ein angenehm frischer Start in den noch jungen Abend.
Irgendwann hatte sich dann auch der Letzte am Tisch entschieden und wir konnten bei Frau Niederbremer unsere Bestellungen vortragen. Suppe – Zwischengang – Hauptgericht und bei Bedarf noch etwas Süßes zum Schluss. Darüber bestand weitestgehend Konsens. Beim ersten Wein des Abends verließen wir uns auf den Geschmack des von weit her angereisten Weißweinpropheten.
Seine Wahl fiel nach eingehender Beratung mit unserer Sommelière auf das südlichste Land Afrikas. Die aus den Rebsorten Chenin Blanc, Viognier und Sauvignon Blanc bestehende Cuvée namens „Saluez le Saboteur“ (65 Euro) war uns an jenem Abend definitiv nicht zu „schwör“. In der Karte wurde ihr Geschmack mit Litschi, weißem Pfirsich, grüner Feige und Zitronenbonbon verglichen. Könnte gepasst haben.
Dieser Saboteur war uns nicht zu "schwöör"
Mit geschmeidigen 12,5 % Alkohol im Glas, machte der vom bekannten südafrikanischen Weingut „Luddite“ vinifizierte Weißwein auch zu den herzhafteren Gerichten eine richtig gute Figur. Ja, Duft und Geschmack des „Saboteurs“ ließen sogar den ein oder anderen Rhône-Vergleich zu. Dass er mit einem Kronkorken – wie er für die zweite Gärung bei der Champagner-Produktion verwendet wird – verschlossen war, nahmen wir als lustigen Wine-Fact gelassen zur Kenntnis.
Vorweg wurden uns zum „Beißvertreib“ frisch aufgeschnittenes Weißbrot zusammen mit Frühlingsquark, Kresse und Radieschenscheiben auf einem kleinen Holztablett gereicht. Ein einfacher, aber gut abgeschmeckter Küchengruß zum Selberschmieren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Kräuterquark und Brot zum "Beißvertreib"
Danach wurde aber so richtig aus dem Vollen gelöffelt. Frau Niederbremer hatte die drei ausgehungerten Terrinenterrier auf unschuldige, aber äußerst gehaltvolle Suppen rund um des Pfälzers Lieblingsknolle losgelassen. Zwei Drittel unseres Tisches wollten mit ihren sämigen, von angebratenen Blutwursträdle getoppten Kartoffelsuppen (6,50 Euro) handfeste Tatsachen schaffen.
Kartoffelsuppe mit Blutwurst - funktioniert immer!
Da ich die sättigende Pfalztunke noch von meinem letzten Besuch her kannte, zog ich das mit zupackender Säure und reichlich Einlage ausgestattete Spargel-Kartoffel-Bärlauch-Süppchen (6,50 Euro) von der Empfehlungskarte vor.
Kartoffel + Bärlauch + Spargel = tolle Frühlingsterrine!
Die Schnipsel vom weißen Stangengemüse hatten noch ordentlich Knack und die feine Bärlauchwürze verlieh der ebenfalls auf Kartoffelbasis zubereiteten Frühlingsterrine ihren besonderen Gaumenkick. Kein Wunder, dass es uns schwerfiel, so früh am Abend die (Suppen-)Löffel abzugeben.
Aber es half ja alles nichts, denn auch die bestellten Zwischengänge wollten ja verputzt werden. Außerdem ging nicht nur das stille Wasser (0,75l für 5,40 Euro) neben mir – und damit meine ich nicht den netten Herren mit dem maroden Knie zu meiner Linken – so langsam zur Neige, sondern auch unser feines „Tröbbsche“ fiel einer rapiden „Verdunstung“ zum Opfer.
Doch bevor wir so richtig trocken (s)aßen, schob mir das vinophile Oberhaupt unseres Tisches den „weißen Peter“ zu und zwang mich, den Mann mit der tanningegerbten Rotweinzunge, zur Bestellung eines trinkbaren Vino Blanco. Der Herausforderung stellte ich mich gerne und warf ihm mit einer Flasche 2020er Chardonnay „Vom Kalkmergel“ (46 Euro) des Ausnahmewinzers Philipp Kuhn aus Laumersheim den Fehdehandschuh auf mineralisch-frische Art zurück.
Mit Chardonnay isch's immer schää!
Das Bremer Flaschenputtel ließ sich indessen eine ansehnliche Portion Vitello Tonnato mit grünem Gestrüpp (14,90 Euro) schmecken,
Vitello Tonnato
während sein Banknachbar mit dem kleinen Salat „Zwockelsbrück“ (6,90 Euro) versuchte, verloren geglaubte Vitamine wieder hereinzuholen. Sein mit Strauchtomaten, Feldgurke, gerösteten Kernen und Frühlingszwiebeln veredeltes Blattwerk schien ihn sichtlich zufriedenzustellen.
Salat "Zwockelsbrück"
Mich hatte dagegen die Jakobsmuschel-Blutwurst-Kombi (12,90 Euro) an schaumig-straffer Muschel-Beurre-Blanc am meisten angesprochen. Zwei ausgesprochen hübsche Exemplare zierten in perfektem Röst- und Gargrad den aus angebratenen Apfel- und Blutwurstscheiben errichteten Unterbau.
Gebratene Jakobsmuscheln auf Blutwurst und Apfel an Muschel-Beurre-Blanc
Die köstliche Mischung aus Säure, Erde und Würze harmonierte mit den beiden süßlich-nussigen Protagonisten ganz ausgezeichnet. Ein Zwischengang, der nicht nur optisch so richtig Laune machte und den auch meine beiden „Buddies“ argwöhnisch beäugten…
Dazu genoss ich das „flüssige Gold“ aus dem Hause Kuhn in vollen Zügen. Dieser elegante weiße Tropfen bestach durch seinen zarten Schmelz auf der Zunge. Nicht nur deshalb war er für mein mit einer guten Portion Rustikalität versehenen Muschelgericht eine sehr gut korrespondierende, flüssige Begleiterscheinung.
Pünktlich zu den ersten, langsam heraufziehenden Anzeichen leichter Sättigung wurde es dann so richtig fleischig. Der Schwarzwälder befürchtete mit seiner aus Saumagen, Blutwurst, Maultasche und Sauerkraut bestehenden Pfälzer „Schweinerei“ (17,90 Euro) eine gehörige Portion herzhafter Gaumenprügel,
Lauter leckerer Schweinekram!
während Borgi und ich zum rabiaten Rumpsteak-Rundumschlag ausholten.
Rumpsteak (sousvide) mit Pommes und gut gepfefferter Crème-Fraiche-Hollandaise
Jenes kam bereits grob tranchiert und mit einer kräftigen Bratenjus nappiert auf bzw. in die dunkle Keramik. Die sagenhaft lecker gepfefferte, mit Crème Fraiche zubereitete „Hollandaise“ wartete in einem Extra-Schälchen auf dipwilliges Verzehrvolk. Die dazu servierten, tadellos frittierten Steakhouse-Pommes überzeugten als knusprige Tunkwerkzeuge.
Unsere Stücke aus dem Rinderrücken gerieten à la bonheur und waren von auffallend zarter Textur. Das weitgereiste Fleisch aus südamerikanischen Landen wurde zuerst bei niedriger Temperatur vakuumgegart und danach noch mal kurz durch die heiße Pfanne geschleust. Dieses Medium-Rare-Erlebnis konnte sich wirklich sehen bzw. schmecken lassen. Oh, wie wünschte ich mir dazu einen tanninreichen Roten mit deutlich schmeckbarer Holznote…
Stattdessen zog die Bremer Sektdrossel mit einer Flasche Pinot Meunier Rosé Brut (33 Euro) die letzten Blubberregister. Spätestens da wurde mir sein eindeutig auf Zecherei ausgerichtetes Credo in Sachen Flüssigkeitsaufnahme bewusst. Leider viel zu spät, wie mir mein dicker Schädel am nächsten Tag brummend mitteilte.
Nun gut, der Apfel sollte auch an diesem Abend nicht weit vom Stammtisch fallen und so orderte ich diesen in ausgebackener Form mit einer Kugel Vanilleeis (4 Euro) als süßen Abschluss.
Ausgebackener Apfel mit Vanille-Eis
Die beiden Wonnemänner zu meiner Linken delektierten sich derweil an Zitronensorbet mit Sekt (5 Euro) bzw. ohne Blubber (für den Fahrer). Irgendeiner am Tisch mampfte noch ein paar sündhaft süße Macarons (3,90 Euro) wie ein gut trainiertes Petit-Four-Werk.
Aber irgendwann (muss so gegen 23 Uhr gewesen sein…) hatten wir mit der uns freundlich umwirtenden Gastgeberin schließlich ein Einsehen. Gesprächsstoff wäre noch für viele Stunden gewesen, aber der lange Weg zurück forderte seinen Tribut und ein für alle Beteiligten ratsames Ende. Draußen vor dem Wirtshaustor erklärte mir Borgi noch ein paar selbst ausgedachte „Stern“-Bilder. Zugegeben: „Hagel“ und „Voll“ kannte ich bisher noch nicht.
Dieser denkwürdige Abend im kleinen aber feinen GG-Freundeskreis ging viel zu früh seinem Ende entgegen. Der Bremer wurde in der Innenstadt rausgelassen, wo er die letzte offene Raucherkneipe mit Dart und Kicker anvisierte (kann aber auch sein Hotel gewesen sein…sorry, der Alkohol). Herr Oparazzo fuhr mich mit württembergischer Nonchalance zurück nach Wörth, um dann selbst zu später Stunde im heimischen Nordschwarzwald von Frau und Hund sehnsüchtig erwartet zu werden.
Für eine Wiederholung dieser humor- und genussvollen „Bagaasch à trois“ würde ich jederzeit wieder zur Verfügung stehen. Für exzessiven Weinkonsum – ganz im Sinne von „betreutem Trinken“ – selbstverständlich auch.
Die Zwockelsbrück ist und bleibt meine Neustadter Lieblingsadresse in Sachen tadellos auf den Teller gebrachter Hausmannskost mit klarem Regionalbezug. Einige behutsam eingestreute kulinarische Akzente aus dem hohen Norden unserer Republik verraten dann aber doch die Herkunft des Küchenchefs.
Die Preise sind moderat und die Auswahl an Flaschenweinen geht weit über das übliche Weinstubenangebot hinaus. Zudem tafelt es sich in dem altehrwürdigen Gemäuer mit Blick auf das Zentrum von Neustadt ganz vortrefflich. Mein Tipp: Hingehen, solange die Niederbremers hier noch am Start sind!