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In Bremen „kommen“ immer weitere Stadtteile, die als lebendig und beliebt gelten. Dazu zählt das bahnhofsnahe Findorff. Aber preislich gehobene Gastronomie habe ich in Findorff bislang nicht vermutet, zumal das gutbürgerliche Schwachhausen mit seiner vorzeigbaren Gastronomie nebenan liegt, so dass sich das hanseatische Bürgertum nicht auf die kleinbürgerliche Anrainerseite des Bürgerparks, der Schwachhausen und Findorff trennt, begeben müsste.
Es war mal wieder eine Kritik im Weser-Report, die mich auf die L`Orangerie aufmerksam machte, die im August 2020 eröffnet wurde.
Mein Begleiter und ich waren von der Küche des L`Orangerie sehr angetan und auch ansonsten ist der Eindruck positiv. Das hat sich wohl auch rumgesprochen, denn am besuchten Donnerstagabend waren trotz widrigen Wetters und 2G+ in der Spitze neun Tische besetzt. Das Publikum im Schnitt etwas jünger und unauffällig schlicht gekleidet. Ich könnte es mir auch 1:1 in einer Pizzeria an der Ecke vorstellen, würde es aber weniger als zahlungskräftig und -willig für einige Positionen auf der Karte, die bei 30 Euro aufwärts für einen Hauptgang liegen, einschätzen. Aber der gastroerfahrene Wirt Stefan Schröder wird wissen, was er seinem Publikum preislich abverlangen kann.
Unter den Gästen auch drei brave Hunde in unserem Tischumfeld.
Ich empfehle gerne einen Besuch der L`Orangerie.
Das Preis-Leistungsverhältnis sehe ich bei vier Sternen.
Die L`Orangerie hat eine Homepage (lorangerie-bremen.de/), die leider die Getränke- und Steakkarte nicht zeigt. Auch sind die Preise im Restaurant einen Euro höher als auf der Internetkarte.
Service:
Zwei Kräfte (m/w) leisteten die Arbeit hinter dem Tresen und am Tisch, routiniert und freundlich. Ob es passe wurde mehrfach gefragt. Eine Frage zu meinem Hauptgericht wurde in die Küche weitergegeben und von dort mit der Information versehen, bereitwillig beantwortet. Am Ende war auch ein kleiner Schnack zum Restaurant und seinen Gästen drin. Ich bedenke das einmal mit knappen vier Sternen.
Die Getränkeauswahl ist überschaubar: Gezapft wird Hemelinger Kellerbier, für das man laut Karte 3,30 € für 0,3 l hinlegen soll (auf dem Bon nur 2,90 €). Wasser taucht auf der Karte nicht auf, laut Bon kommt die kleine Flasche 0,2 l auf 2,70 €.
Die Weinauswahl beschränkt sich auf sechs klassifizierte Gewächse. Die Weißen vom Weingut Leonhardt liegen bei 6,90 € für 0,2 l (Flasche 25 €), ebenso der trockene Portugieser Weißherbst aus demselben Haus. Die beiden roten Italiener müssen mit 7,50 € (Flasche 28 €) bezahlt werden; die Endverbraucherpreise hat der Wirt knapp mit dem Faktor 4 beaufschlagt. Mein weinkundiger Begleiter hat den Sauvignon Blanc und den Weißburgunder ausdrücklich gelobt. Die beiden Roten (Syrah, Primitivo) wurden leider zu warm serviert und konnten deswegen nicht voll überzeugen. Der Rosé hätte kälter sein dürfen.
Essen:
Die Abendkarte kann man sich auf der Homepage ansehen. Zudem wurden drei Tagesempfehlungen am Tisch mit Hilfe einer kleinen Schiefertafel annonciert (Skrei, Hirschfilet, Wildfang Riesengarnelen).
Erst einmal wurde uns ein Körbchen mit zwei Brötchen und ein Klacks Kräuterbutter auf den Tisch gestellt. Die Brötchen fand ich mittelmäßig und die Kräuterbutter in Ordnung – etwas einfalls- und lieblos.
Dann wurde zu meiner großen Enttäuschung mitgeteilt, dass das Oktopuscarpaccio nicht verfügbar sei, aber stattdessen eines mit Jakobsmuschel, wofür ich mich entschied. Unerwartet kamen dann für 13,50 € sehr dünn geschnittene, durchsichtige Scheiben daher, die ich optisch nicht als Muschelfleisch erkannt hätte, eher als aufgeschnittene Qualle. Geschmacklich sehr frisch und feinfischig. Völlig deplatziert auf diesem Carpaccio die Granatapfelkerne. Es ist leider eine Marotte in vielen Restaurants geworden, Vor- und Hauptspeisen wahllos mit diesen Kernen zu verzieren. Besser die frittierten feinen Raukeblättchen.
Mein Begleiter hatte sich für den Burrata mit Tomatenpesto und Crossini entschieden (13,00 €). Es war wohl in Ordnung.
Die Hauptspeise, auf die ich mich kapriziert hatte, die Dammhirschbolognese mit Waldpilzen und Gemüse, war Gott sei dank nicht aus und hat mich vollends überzeugt. Ich gebe zu, die wunderbare Bolognese des Due Fratelli in Erinnerung gehabt zu haben, die dort 16 Stunden gekocht wird. Ich musste deswegen bei unserem Kellner fragen, wie lange die Kochzeit in der L`Orangerie sei und – das kann kein Zufall sein – auch hier sind 16 Stunden vonnöten, um diese Bolognese auf ein vergleichbares Niveau zu heben. Sehr befriedigend auch die Portionsgröße, was nach der Carpaccio-Nichtigkeit auch dringend notwendig war! Die Nudeln zur Bolognese habe ich als Bavette angesehen.
Auch in beachtlicher Portionsgröße wurde das Hirschfilet auf Kartoffelstampf mit Pilzen serviert (34,00 €). Die Begeisterung über dieses Gericht stand meiner nicht nach. Das aufgeschnittene Filet präsentierte sich medium gegart. Es blieb nichts übrig und ich verlasse mich auf das Lob höchster Stufe meines Begleiters für die Bewertung, denn ich traute mich nicht, auch nur einen Happen zur Verkostung zu begehren.
Also für die Hauptspeisen komme ich an fünf Sternen nicht vorbei. Da die Vorspeisen da nicht mithalten konnten, gebe ich vergleichbar mit Due Fratelli 4,5 Sterne für die Küchenleistung.
Was mir nicht gefiel, war die sehr zügige Speisenfolge. Die Frage, ob es weitergehen dürfe und den Gast über den Zeitabstand bestimmen lässt, sollte sich die L`Orangerie zu eigen machen.
Ambiente:
Die „Orangerie“ ist ein wintergartenähnlicher Anbau an einen WK-II-Bunker. Eine Halbtreppe führt zu den Feuchträumen, die im Bunker liegen. So kann man die Wandstärke (schätze so einen Meter) des Bunkers sehen. Der nackte Bunkerbeton bildet auch den Hintergrund des langen Tresenbereichs. Hingucker ist ein riesiger Flachbildschirm, auf dem Meeresvideos laufen, von Quallen bis Korallen. Am Ende kann man durch eine Scheibe in die Küche schauen, daneben ziert gezeichnetes Meeresgetier weiß auch schwarz die rückwärtige Seite des schlauchartigen Restaurants. Bloße Balken der Deckenkonstruktion und die dicken Rohre der Deckenheizung sorgen für etwas Industrieoptik.
Schade, dass die Zweiertische mit dunkler, rustikaler Holzoberfläche arg klein geraten sind, was wohl der Wirtschaftlichkeit geschuldet ist, denn es gibt nur eine Tischreihe vor der Fensterfront zum Freibereich. Die Laufwege sind hingegen großzügig angelegt.
Vor der Theke stehen Barhocker und angesichts der Breite der Theke vermute ich, dass diese auch als Essplatz gedacht ist.
Eine Beschallung war nicht zu vernehmen.
Sauberkeit:
Nichts zu bemäkeln. In der modernen und frischen Herrentoilette darf sich der Gast mit kleinen Stoffhandtüchern trocknen.