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Wer um die Mittagszeit herum im Stuttgarter Hospitalviertel etwas Habhaftes zu sich nehmen möchte, hat zwar einige Möglichkeiten, muss sich jedoch gegen zahlreiche Mitbewerber um Sitz- und Essensplätze durchsetzen. Wie oft habe ich schon vergeblich an der Zuckerei angeklopft – und das, wo mir doch schon der herausfordernde Lokalname eher suspekt und provokativ erschien? Nun habe ich doch noch Erfolg, und das kurioserweise just am Weltdiabetestag, am frühen Nachmittag gegen 14 Uhr. Ob Angesichts der offensichtlichen Gefahren doch einige Stammgäste dem Ort der Verführungen ferngeblieben sind?
Dabei ist alles halb so schlimm – oder eigentlich ganz anders und viel besser. Die Zuckerei liegt im Erdgeschoss des Bibelmuseums, unweit des Hospitalhofs, des Hauses der Wirtschaft, der Liederhalle – somit also in einer guten, hier sogar sehr ruhigen Innenstadtlage. Wenn man am Haus zur besten Essenszeit vorbeigeht, scheint das Lokal geradezu vollgestopft mit glückselig speisenden und schwatzenden Menschen zu sein. Und in der Tat: in einem Raum auf der Grundfläche eines gutbürgerlichen Wohnzimmers stehen gut ein Dutzend kleine Bistrotischchen (die meisten schon leicht angemackelt und etwas ramponiert im allerbesten Vintage-Style) mit Stühlen und Sitzbänken drumherum recht eng beisammen. Drei Menschen werkeln fröhlich in einer winzigen Küchenecke mit Theke, darüber weiss gestrichene Heizungsrohre, nach vorne raus bodentiefe Fenster. Alles wirkt ein bisschen improvisiert und zusammengestückelt, aber sehr sympathisch, so als wäre man in einer befreundeten WG zu Gast. In der Sommerzeit ist auch der Platz vor dem Lokal bestuhlt, doch jetzt erinnert nur noch ein Sonnenschirmständer an besseres Wetter.
Allein ein Blick auf die Auslagen in der Zuckerei-Theke zeigt schon: hier ist mit viel Liebe und Hingabe Selbstgemachtes im Angebot. Auch wer geschmacklich nicht zum Süssen neigt (so wie ich), kann sich optisch erfreuen an lindgrünen Pistazientürmchen, französisch angehauchter Patisserie, himbeerfarbenen Törtchen, schokoladig glänzenden Kalorienbomben. Doch die Karte, die mir sogleich mit einem freundlichen Lächeln von der Chefin Sibel Keskinsoy gebracht wird, gibt viel mehr her: zahlreiche Frühstücksvariationen, herzhafte Suppen, belegte Brötchen und Bagels, wechselnde herzhafte Quiches, Salate. Dazu Kaltgetränke und natürlich jede Menge Kaffeespezialitäten.
Heute ist eine Kartoffel-Lachs-Quiche im Angebot, die ich mit Salatbouquet bestelle (9,50 Euro). Kaum habe ich mich etwas umgesehen, wird auch schon aufgetragen. Herrlich! Die Quiche gleicht einem überbordenden Auflauf, in dem Kartoffelscheiben und Räucherlachs zusammen mit viel Schmand aufgeschichtet und überbacken wurden. So perfekt gewürzt, dass der automatisch dazu gestellte Salzstreuer und die Pfeffermühle überhaupt nicht zum Einsatz kommen müssen. Ein bisschen zu weich erscheint mir allerdings das Kartoffel-Lachs-Konglomerat, dem ich mir etwas mehr Biss gewünscht hätte. Dafür ist das Salatbouquet aus frischen Blattsalaten, Cocktailtomatenhälften und Kresse sehr fein mit einer Himbeeressig-Vinaigrette angemacht. Wenn ich mich umschaue, speisen die Gäste derzeit allesamt recht herzhaft, auch mächtige Latte- und Cappuccinoportionen sind zu sehen. Den Törtchen wird wahrscheinlich erst später am Nachmittag zugesprochen.
Da die Zuckerei barrierefrei im Erdgeschoss liegt, sehe ich auch Gäste mit Kinderwagen und ein mobilitätseingeschränktes Paar. Schwierig wird es allerdings, wenn man die Toiletten aufsuchen möchte. Der Weg in die obere Etage ist zwar relativ gut ausgeschildert, jedoch abenteuerlich, wie eine Zeitreise zurück in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Zwischendrin kreuzt man noch die Evangelische Müttergenesung und Räumlichkeiten, die an eine Familientagungsstätte erinnern. Vermutlich gibt es aber auch einen Treppenlift, zumindest sind Vorrichtungen dafür zu sehen.
Die Zuckerei hat täglich (ausser sonntags) von 9:30 bis 18:00 Uhr geöffnet, ist also der perfekte Ort für ein Frühstück oder ein kleines Mittagessen. Ich komme sicherlich wieder – wenn ich einen freien Platz finde.