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Zunächst einmal herzlichen Dank an alle für das freundliche Feedback zu meiner ersten Retro-Rezension, das war nicht selbstverständlich und hat mich sehr gefreut.
Heute also ein neues Machwerk aus dem "Unreleased Backlog", langjährige Wegbegleiter könnten heute vielleicht angesichts einiger der fallenden Namen etwas wehmütig werden: First, Carlo, Olfaktor, Isodose – alle momentan nicht mehr aktiv, sie fehlen nach wie vor.
Bei aller rückblickenden Wehmut war dieser Abend aber auch einer voller freudiger Highlights, unsere Mitstreiter aus Münster, Berry und Peter3 waren zum ersten Mal mit an Bord, das Essen war grundsätzlich sehr gelungen und die Stimmung ausgelassen.
Begleitet mich also heute in den Januar 2014, ein legendärer Freitagabend in Essen-Horst nimmt seinen hedonistischen Lauf, viel Spaß dabei:
Kritik
Das diesmalige Treffen unserer Kulinarik-Kommune verschlug uns nach Essen-Horst nahe der Ruhr, ein Ort voller Industriekultur, davon zeugen schon zahlreiche Hinweisschilder auf entsprechende historische Örtlichkeiten der gleichnamigen touristischen Themenstraße des Regionalverbandes Ruhr, denen man auf der Anfahrt zum Hannappel begegnet.
Die Anfahrt aus dem Süden über die A535 gestaltete sich ohnehin sehr entspannt, an manchen Stellen die Zahlen auf den komischen runden Schildern eher als Richtempfehlung verstehend war ich in etwas mehr als einer halben Stunde am Ziel. Dort angekommen empfing mich zunächst ein schön eingeleuchtetes Restaurant das seine Ruhrgebiets-Gene auch im Außenauftritt stolz zu präsentieren versteht, allerdings auch eine bisweilen schwierige Parkplatzsituation im nahen Umfeld.
Mein triumphal angesteuerter Parkplatz an der Hauptstraße entpuppte sich dann nach dem zweiten Hinschauen auch als höchstgradig „Knöllchen“-gefährdete Situation, sodass ich noch schnell in eine Seitenstraße auswich, wo ich zwar auch im eingeschränkten Halteverbot aber weit weniger prominent platziert unterkam.
Isodose (gelöscht) traf einige Minuten nach mir ein, großes Hallo, beidseitige Zufriedenheit über die erfolgreiche Anreise, Zeit für eine Gauloises und ein kleines Schwätzchen.
Die anderen Herrschaften, unsere lieben Dortmunder Freunde wieder mit bewährter Aufgabenteilung was die Fahrdienste angeht, sowie die internationale Beteiligung aus dem fernen Münster trafen kurz darauf ein, First kam wenige Minuten zu spät, wenn auch gut entschuldigt, sein monatlicher Sitztanz-Nachmittag im Sprochhöveler Seniorentreff der AWO zog sich diesmal hin. Leider hat es Olfaktor diesmal nicht geschafft, dabei hatte ich extra Fischkonserven für sein Haustier gebunkert.
„Kritikertreffen“, mittlerweile auch ein Abend mit gewissen modischen Konstanten. Alle bis auf die Herren First und Shaneymac machen sich richtig schick, First trägt seinen Hochzeitsanzug und besteht darauf das die Mode der späten Sechziger wieder en vogue wäre, meinereiner ist meist ohnehin nur bemüht mit Kleidung größtmögliche Schadensbegrenzung zu betreiben.
Alle anderen glänzten mit makellosen, edlen Ensemblen mit diversen kostspieligen Accessoires, ich fühlte mich mal wieder gnadenlos underdressed, nächstes Mal komme ich im Tweed-Anzug!
Die Begrüßung durch den Service professionell und höflich, sowie man es in Häusern dieser leicht gehobenen Kategorie (16 Punkte im GM) erwarten würde, die Mäntel wurden abgenommen und verstaut und das Ambiente konnte seine Wirkung entfalten.
In einigen Details vielleicht etwas in die Jahre gekommen, die helle Holzvertäfelung empfand ich subjektiv als unglücklich, hier hätte dunkles Holz sehr viel schöner gewirkt, trotzdem eine in Summe stilvolle, sehr gepflegte und trotzdem recht behagliche Atmosphäre in der wir dort schwelgen durften - die ebenfalls klassisch aber detailverliebt eingedeckten Tische taten ihr Übriges.
Isodose (gelöscht) sah sich anscheinend in Zugzwang in Sachen Mitbringsel / Gastgeschenk und hatte ein ganzes Füllhorn an inhaltlich wertvollen Goodies dabei. So überraschte er mit einer Auswahl „hochwertiger“ Spirituosen aus den besten Brennblasen des Harzes :-) und sorgte auch für kulturelle Bereicherung durch ausgedruckte Informationen zur Geschichte eines ihm naheliegenden Klosters aus eben dieser Gegend.
Die übersichtliche Karte bot neben der siebengängigen Degustation lediglich ca. fünf Vor- und Hauptspeisen, daneben allerdings noch ein dreigängiges Überrschaschungsmenü das inklusive begleitender Weine mit 53 Euro für einige am Tisch die beste Option darstellte und mehrfach bestellt wurde.
Als bekennender Entscheidungneurotiker habe ich natürlich – da hatte First völlig Recht – die Karte die ganze Woche intensivst studiert und war natürlich völlig aus der Bahn geworfen als diese vor Ort leicht von der Online-Variante abwich.
Ich entschied mich daher nach etwas Grübelei für das Lachs Carpaccio und Entrecote von der Standardkarte und als Dessert den gut klingenden Käsegang aus der Degustation.
| Amuse & Aperitif |
Zu solchen Gelegenheiten gehört auch ein wenig Zelebration, da kein Cremant verfügbar war orderte ich ohne großes Überlegen ein Glas Champagner, so jung kommen wir schließlich nicht mehr zusammen. Der Bouché Père et Fils kam wohlgekühlt im großzügig eingeschenkten Glas und bestach durch Frische, Frucht und feine Hefenoten. Keine Weltklasse aber gegen den Siebecko und uteester servierten Rieslingsekt anscheinend eine lohnende Investition, wie ich der „Begeisterung“ der beiden entnehmen konnte.
Außerdem passte er hervorragend zu dem ansprechend servierten Sauerteigbrot mit Griebenschmalz das zeitgleich zu den ersten Getränken serviert wurde.
Danach eine weitere kleine Offenbarung für den von manchen Bergischen Gastronomie Standards gebeutelten Kritiker, Halleluja, ein richtiges Amuse, das ich das noch erleben darf. Geschmorter Schweinebauch mit feinen grünen Bohnen, augenscheinlich eine Variation des „Jungschweinbauch Teriyaki“ der sich noch auf der Online-Karte findet. So lasse ich mir asiatische Anleihen, die ich oft unstimmig und uninspiriert finde, gerne gefallen. Die Teriyaki mit den Bohnen und einem Stück des butterzarten, aromatischen Fleisches zusammen genossen waren ein kleines Erlebnis der Kategorie „mehr als die Summe seiner Teile“.
geschmorter Jungschweinbauch Teriyaki
Etwas mitleidig schaute ich zum ersten Mal nach links, Berry nebst Gatte übten Selbstkasteiung in Form einer „vegetarischen Phase“ und erhielten daher farbenfrohes aus dem Garten sowie dümmliche Kommentare von rechts. :-)
| Vorspeise |
Carpaccio vom Glen Douglas Lachs asiatisch gewürzt
Riesling Aufwind 2011, Weingut Hensel, Dürkheimer Hochbenn QbA, Pfalz
Carpaccio vom Glen Douglas Lachs asiatisch gewürzt
Ein schon rein optisch traumhaftes Gericht, der Wasabi schockte mich zwar, aber die Safran-Mayonnaise die wie etwas Lachs-Tatar in Gelee-Cannelloni gefüllt wurde machte dies aber wieder wett. Die Aromen des Gerichtes harmonierten und der Fisch überzeugte wie zu erwarten mit einem hervorragenden, unverfälschten Eigengeschmack. Details wie die feinen Julienne von Wurzelgemüse und die schmackhaften Sesam-Cracker wussten zu begeistern. Etwas ratlos ließ mich die auf dem Foto an den äußeren Seiten zu sehende, in Form gebrachte gestockte Kokos-Emulsion zurück, diese verstand sich für mein Verständnis mit keiner anderen Komponente auf dem Teller.
Der mineralische, frische Riesling aus der Pfalz bildete die mir vom sympathischen Chef de Rang kredenzte Begleitung - in ihrer Klassik zwar keine Überraschung aber eine sichere, wohltemperiert servierte Bank.
| Sorbetgang |
Kleine Aufmerksamkeit aus der Küche, „Campari-Orange“ in Texturen. Herrlich erfrischende Neutralisation mit Hilfe von Orangensorbet, Campari-Gelee und Orangen-Schaum sowie einer toll gearbeiteten, hauchdünnen kandierten Orangenscheibe. Intensiv an Aromen und Arbeitsaufwand, ein sehr schöner Sorbetgang!
| Hauptgericht |
Entrecôte vom US Beef mit Ofenschalotten und Wirsing
Rioja 2010, Azabache Crianza Vendimia Seleccionada, Viñedos de Aldeanueva, DOCa Rioja
Entrecôte vom US Beef mit Ofenschalotten und Wirsing
„Mensch, Berry, sieht toll aus oder?“ lautete meine gehässig grinsend vorgetragene, sorgfältigst deplatzierte Frage nachdem mein Steak serviert wurde und die Dame zu meiner linken skeptisch die in vielerlei geometrische Formen gearbeiteten, fleischlosen Küchenerzeugnisse auf ihrem Teller beäugte. Der Seitenblick, den ich von der bekennenden Steak-Liebhaberin erntete verhieß nichts Gutes und ich trat umgehend den diplomatischen Rückzug an: „Ja, ne, also ich find natürlich Deins sieht auch gut aus… oder?“.
Das sah auch nicht nur gut aus, perfekter Gargrad, saftig und aromatisch, wer solch ein Steak serviert kann kochen UND einkaufen, soviel ist klar. Der Jus nicht allzu intensiv mit sehr klassischen Noten, der Wirsing hätte etwas mehr Salz vertragen können, trotzdem schön im Biss.
Sehr enttäuschend die beiden Sättigungsbeilagen Kartoffel-Baumkuchen wie die als festes, kleines Päckchen gearbeitete getrüffelte Polenta wussten geschmacklich niemanden so richtig zu überzeugen. Geschmack wie Konsistenz waren indifferent und man muss sich fragen warum man eigentlich gute Grundprodukte manchmal so „überverarbeiten“ muss das sie trocken und charakterlos werden.
Die Kräuter-Seitlinge waren schmackhaft gebraten worden, fügten sich aber nicht nur rein optisch schwierig in das Gericht sein, für sich genommen aber genauso hervorragend wie die mit viel Rotwein (oder Port, könnte hinkommen) zubereiteten Ofenschalotten.
Der begleitende Rotwein für das Preis-Niveau des Hauses eine kleine Enttäuschung, ich würde nie behaupten ein Weinkenner zu sein, nur bei spanischen Rotweinen, meinem geliebten Casa Luz sei Dank, behaupte ich mittlerweile gut von mittel von schlecht unterscheiden zu können. Wer wirklich gute Crianzas schätzt, weiß was ich meine wenn ich laienhaft sage die Frucht nicht gegen das Barrique ankam und der Wein daher eine gewisse Eindimensionalität hatte. Allerdings glaube ich das ein angemessenes Dekantieren hier wesentliche Besserung gebracht hätte, so wie der Wein sich im Glas entwickelte, trotzdem ein eher einfacher Tropfen.
Bei dem Stickwort „Entwicklung“ einige Worte zum Service. Denn in der fachlichen Entwicklung scheinen einige Teile des Service noch tief zu stecken. Der Service Leiter, ein Herr mittleren Alters überzeugte durchgehend mit Überblick, Organisation, Kompetenz und Freundlichkeit.
Die jungen Damen zum Teil fahrig, Siebecko hatte noch fast eine halbe Stunde von etwas vom Vorspeisenteller, und auch leere Gläser und Wasserflaschen wurden trotz nur moderater Füllung des Lokals manchmal etwas länger nicht bemerkt, dank der Leistungen des Herren der Schöpfung empfand ich den Service daher trotzdem als „gut“.
Ein Gang zu den Toiletten, wo ich mir die Hände wusch, zeugte übrigens auch dort rückblickend von der makellosen Sauberkeit des Betriebes. Sauber gestapelte Stoffhandtücher sind mir die liebste Form der Händetrocknung, im Hannappel offenkundig eine Selbstverständlichkeit.
| Dessert |
Rohmilchkäse mit verschiedenen Chutney
Rohmilchkäse mit verschiedenen Chutney
Da ich aus Erfahrung in dieser Gastronomie nicht viel mit mancher Form des kulinarisch ambitionierten Desserts anfangen kann, sofern es sich nicht um Interpretationen von Crepes oder österrischischen Mehlspeisen mit möglichst wenig bis gar keinem Interpretationsspielraum handelt, entschied ich mich bereits vor dem Essen für die Rohmilchkäse mit Chutneys.
Optisch und geschmacklich keine große Offenbarung, bis auf die Variante mit Blauschimmel. Ich gebe zu ich liebe Käse und kaufe diesen privat gerne im Fachgeschäft und bin neugierig. Wenn ich dann im Hannappel unter anderem einen Comté auf dem Käsebrett finde und dieses statt mit Chutney mit lieblos auf den Teller gebrachten Frucht-Senfen mit auch eher mainstreamig zu nennenden Aromen daherkommt, da bekomme ich innerliche Gähnattacken bei - wie erwähnt - gleichzeitiger leichter Missbilligung der Präsentation.
Ein Digestif konnte ich leider keines mehr nehmen da ich schon beim Wein sehr bescheiden sein musste. Augen auf der Berufswahl, im nächsten Leben werde ich ADAC Funktionär, ein gelber Hubschrauber vor dem Restaurant wäre hier nachts sicher nur akzeptabel kurz unangenehm aufgefallen.
Fazit
Die Zutaten der Gerichte, sowie Küchen- und Serviceleistung des Hannappel wussten grundsätzlich zu überzeugen. Die oben genannten Kritikpunkte sind verantwortlich für leichte Abwertungen die sich ein Haus mit Anspruch in diesem Preisrahmen durchaus gefallen lassen muss, mitnichten habe ich die Nadel im Heuhaufen gesucht.
Eine Anfahrt aus Solingen werde ich wahrscheinlich nicht mehr in Kauf nehmen da ich die Ausrichtung der Karte zwar sehr ausgewogen aber in Summe - aufgrund des Besuches - auf ihre Art als etwas austauschbar erachte, denn ähnlich kocht man heute landesweit in vergleichbaren Häusern.
Und, es wurde heute schon erwähnt, es war wieder ein sehr gelungener und amüsanter Abend in unserer „kulinarischen Selbsthilfegruppe“. Natürlich ist es schwer an einem länglichen 10er Tisch Gespräche mit mehreren Personen zu führen, aber das kennt man ja von diesen Gelegenheiten je nach Tisch-Konfiguration und tat der Stimmung keinen Abbruch.
Mir bleibt abschließend die Hoffnung, dass ich die lieben Münsteraner nicht mit unmöglichem Benehmen und Sarkasmus verschreckt habe, ich wirke manchmal etwas lakonisch wie man mir nachsagt.
Es war sehr nett mit Euch, wie sagt noch gleich immer der Ebayer von Nicht-Welt: „jederzeit gerne wieder“! :-)