"Kulinarische Topadressen der Südpfalz – Teil 6: Wenn Pfälzer Spitzengewächse zu besonders schmackhafter, ambitioniert vorgetragener Hausmannskost serviert werden, dann ist grenznahes Savoir-Vivre garantiert"
Geschrieben am 05.08.2020 2020-08-05 | Aktualisiert am 15.02.2021
"Prototyp einer Pfälzer Gutsschänke mit langer Tradition und erstklassigen Weinen"
Geschrieben am 13.11.2017 2017-11-13
Nun, im 6. Teil meiner kulinarischen Reise durch die Südpfalz hat es mich direkt an den geographischen Anfangspunkt der Deutschen Weinstraße nach Schweigen-Rechtenbach verschlagen. Dort befinden sich nicht nur das martialisch wirkende Deutsche Weintor (von neunzehnhundertdolfzig…) und das bei Spätburgunder-Sympathisanten hoch angesehene VDP-Weingut Friedrich Becker sondern auch eine Weinstube, die sich von den herkömmlichen Saumagenbastionen deftiger Pfalz-Prägung erfreulicherweise abhebt.
Die Rede ist von der Weinstube Jülg, die schon seit über 50 Jahren ihre Gäste mit ehrlich zubereiteter, bodenständiger Hausmannskost beglückt. Hinter jeder guten Weinstube steckt natürlich ein entsprechendes Weingut. Opa Oskar war es, der damals als vinophiler Autodidakt die ersten Weine kelterte. Er baute sie entgegen des damaligen Süßweintrends trocken aus. Das unterschied die Jülg’schen Tropfen schon früh von den Restzuckerschmeichlern der Region.
Heute zählt das Weingut Jülg, das mittlerweile vom sympathischen Sohn Johannes (zum Aufsteiger des Jahres im aktuellen Eichelmann-Weinführer gekürt), geführt wird, mit zu den Besten der Pfalz. Burgunder-Buddies und Pinot-Präferenzler wissen dies schon lange zu schätzen. Unter seiner Ägide entstehen hier äußerst hochklassige, sehr terroirbezogene Kreszenzen, die von Vinum, Falstaff und Co. regelmäßig mit hohen Bewertungen und Auszeichnungen versehen werden.
Früher stand Oma Erika in der Küche und briet, während sich Tochter Karin um die Gäste kümmerte, die mit Abstand besten Bratkartoffeln der Südpfalz. Das kann sie heute aus Altersgründen leider nicht mehr selbst erledigen, aber mit dem neuen Küchenchef und ehemaligen Sternekoch Laurent Durst (früher Restaurant Alte Sonne in Ludwigsburg), seiner Frau Kerstin und einem weiteren Koch aus Wissembourg konnte man das kulinarische Angebot der Weinstube sogar noch aufwerten.
Die bewährten Klassiker aus Oma Erikas Küche stehen selbstverständlich noch immer auf der Karte. Sie wurden lediglich um ein paar kreative Akzente erweitert. Elsass meets Pfalz. „Wo, wenn nicht hier?“, möchte man fragen. Laurent Durst und seine Frau Kerstin stammen schließlich aus der pfalzverwandten Nachbarregion.
Dem großen Andrang im herrlich angelegten Innenhof und wohl auch den coronabedingten Unwägbarkeiten nach der Wiedereröffnung Mitte Mai war es geschuldet, dass man die Speisenauswahl in den Sommermonaten mit Bedacht reduziert hatte. Das nach wie vor in deutscher und französischer Sprache abgedruckte Angebot bestand aus jeweils acht verschiedenen Vor- und Hauptspeisen.
Saumagencarpaccio, karamellisierter Ziegenkäse und gegrillte Garnelen an marinierten Tomaten und Zupfsalat fungierten dabei als delikat klingende Gerichte zur Einstimmung. Die heilige Pfälzer Dreideftigkeit (Bratwurst, Saumagen, Leberknödel), der Tagesfisch mit Ratatouille sowie das obligatorische Rumpsteak vom Pfälzer Rind übernahmen dagegen gerne höhere Sättigungsaufgaben.
Als wir uns an einem warmen Montagmittag zu einer Spontaneinkehr im Rahmen einer ausgiebigen Radtour entschieden, war der mediterran bepflanzte, mit Schatten spendenden Schirmen und gut gepolstertem Gartenmobiliar ausgestatte Innenhof bereits sehr gut gefüllt.
Im Innenhof
Freunde aus der Gastronomie hatten es sich bereits am Nachbartisch gemütlich gemacht. Zufälle gibt’s! Da setzten wir uns einfach an einen der danebenstehenden Tische und kommunizierten mit Maximalabstand.
Frau Karin Jülg leitete wie eh und je den Service. Sie hatte jederzeit den Überblick und wurde von ein paar jüngeren Damen - wahrscheinlich Aushilfen - unterstützt. Wir wurden flott bedient und schon bald konnten wir unseren Radfahrerdurst mit der ersten Flasche Mineralwasser (3,50 Euro) löschen.
Wie gerne hätte ich einen der knochentrocken ausgebauten Weißweine aus dem Jülg’schen Keller genossen, aber der Weg zurück ins heimatliche Steinweiler stand ja noch bevor und bei der sommerlichen Hitze wäre -wenn überhaupt - nur die Schorle-Option in Frage gekommen. Mit Wasser strecke ich solche leckeren Tropfen jedoch äußerst ungern und so übte ich mich in sportlichem Weinverzicht. Nicht mal der von mir so geliebte Weißburgunder Kalkmergel fand den Weg ins Glas. Von der Rotwein-Cuvée „Les Frères“ ganz zu schweigen.
Aber Schweigen liegt ja nicht weit entfernt und beim nächsten Besuch werden wir mit Sicherheit ein paar Flaschen Jülg-Wein in den Kofferraum laden.
Auf unserem Tisch landete ein hübsch anzusehender, vor Frische strotzender Beilagensalat (3,50 Euro), den sich mein Kollege zu seinem Rumpsteak (18,50 Euro) schmecken ließ. Auf die in Spätburgunder geschmorte Zwiebelbeigabe verzichtete er unverständlicherweise.Beilagensalat
Das Rumpsteak
Die Hitze und die Anstrengung auf dem Rad unterdrückten zunächst ein wenig mein Hungergefühl, was mir lediglich einen Straßburger Wurstsalat (8,50 Euro) zusammen mit ein paar Bratkartoffeln (3,50 Euro) einbrachte.
Der Straßburger
DIE Bratkartoffeln
Das mag frugal erscheinen, war aber in dieser Kombination (und bei dieser Witterung) genau das richtige Mittagessen für mich. Zumal die Bratkartoffeln wie immer sensationell knusprig und hervorragend gesalzen aus der kleinen Porzellanschüssel grüßten. Auch der mit Käse und extrafein geschnittenen Zwiebeln verfeinerte Wurstsalat hielt dank seiner erfrischenden Essigwürze allen Kriterien hausmannsköstlicher Speisung statt. Es war mit Sicherheit einer der besten „Straßburger“, die ich jemals auf dem Teller hatte.
Auch mein Kollege lobte die Fleischqualität seines Pfälzer Rumpsteaks, das den typisch flachen, deutschen Cut aufwies und im gewünschten Gargrad (medium) serviert wurde. Die Röstspuren auf dem lediglich mit etwas Pfeffer und Salz gewürzten Bratfetzen ließen auf eine Zubereitung in der gußeisernen Pfanne schließen.
Wir schlossen unseren mittäglichen Boxenstopp mit einem Kaffee und einem wunderbaren Bauchgefühl, das uns gestärkt auf die Räder und auf den Heimweg schickte. Der nächste Besuch im Jülg’schen Innenhof ist schon in Planung. Einem lauen Sommerabend bei köstlicher Hausmannskost und noch besseren Weinen sollte demnach nichts im Wege stehen.