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Tempi passati. Für häufigere Besuche gab es auch keine gastronomisch zwingenden Gründe, wie ein Versuch beim Platzhirsch Natuschs Fischereihafenrestaurant mit Kollegen MarcO74 und seiner damaligen Verlobten vor ein paar Jahren zeigte.
Aber seit einiger Zeit tut sich was, speziell am Alten Hafen. Über die Leistungen von Phillip Probst im Mulberry St habe ich hier schon berichtet, im Atlantic Hotel lockt das STROM mit grandioser Aussicht, und das Pier6 wurde mehrfach mit 13 oder 14 Punkten ausgezeichnet, als es diese Kategorie im Gault&Millau noch gab.
Da ich in unverbesserlichem Optimismus für Januar unsere Weihnachtsnachfeier 2020 im benachbarten Liberty plane, konnte ich vor dem Besprechungstermin eine ausführliche Mittagspause beim sympathischen Franken Steffen Heumann einplanen.
Die für einen Montag gar nicht mal so spärliche Kundschaft war gemischt, Geschäftsleute, Freundinnen und auch einige Stammgäste, vermutlich aus den umliegenden neuen, „schicken“ Appartment-Kartons rund um den Alten Hafen, deren Bezug sicher eine „nicht völlige Vermögenslosigkeit“ voraussetzt, wie man in meiner Heimatstadt unverschämt reiche Leute kennzeichnet. Das Ambiente des Pier6 nennt der Guide Michelin stylisch; ich würde es zeitgemäße Bistro-Innenarchitektur nennen, mit viel dunklem Holz und klaren Linien. Der recht große Raum ist in vier Bereiche aufgeteilt, die hinteren Teile sahen etwas „unbewohnt“ aus, aber das verglaste Weingewölbe dahinter war schön anzusehen.
Und erst recht der Blick nach vorne durch die bodentief verglaste Fensterfront.
(Etwas Besonderes war für mich das Wiedersehen mit der Schulschiff Deutschland, auf der mein Vater einst einen Teil seiner seemännischen Ausbildung erhielt.)
Der weiße Schwan der Unterweser
In und auf allen raumteilenden Anrichten, Tresen und Regalen standen diverse „Sachen“ rum: Große und kleine Deko, Servietten und Gewürzmühlen, ebenfalls eine Vielzahl von zu erwerbenden Produkten aus eigener Herstellung.
Auf diesen Zusatzverdienst setzen ja inzwischen viele gehobenen Restaurants; ich weiß gar nicht, ob davon tatsächlich soviel gekauft wird. Als Besonderheit Wurst und Schinken vom regional gezüchteten Duroc-Schwein, dessen Bio-Fleisch auf der Karte eine prominente Stellung einnimmt.
Mir kam der Raum insgesamt etwas unaufgeräumt vor, aber das ist Geschmacksache, 3,5 Sterne.
Das Personal war unterschiedlich drauf: Eine junge Dame, deren Schicht bald darauf endete, blieb kühl bis an den Rand der Genervtheit, was sich nicht besserte, als sie mir ein falsches Getränk brachte. Manche Gäste haben dann ja die Freundlichkeit, das nicht Bestellte trotzdem zu nehmen... Die Ablösung dann genau das Gegenteil: Fröhlich, natürlich und mit Lust am Service. Und schließlich ein Kellner alter Schule, mit Höflichkeit, professionell und auf der Höhe der Karte, der die Stammgäste mit Namen begrüßte und verabschiedete. Auch Chef Heumann fragte nach der Zufriedenheit und schien an ehrlichen Rückmeldungen durchaus interessiert. Das Positive überwog und weil die reine Leistung bis auf den vertauschten Wein fehlerfrei war, freundliche 4 Sterne von mir.
Der Gastraum und die Toiletten sind ebenerdig zugänglich. An der Sauberkeit gab es nichts zu meckern. Der Impfstatus wurde ernsthaft geprüft, Masken vom Personal vernünftig getragen. Es gibt ein Luftfilter-Gerät und die Tische werden nach jedem Gast desinfiziert.
Grund für den guten Besuch könnte zum einen das Mittagsgericht sein, das mit 0,1l Wein oder der doppelten Menge Softdrink 15 Euro kostet. Oder mit einer Vorsuppe und zwei kleinen Desserts im Glas 32,50 Euro. Beides ist angesichts von Menge und Qualität - ich greife vor - ein faires Angebot.
Aber auch meine Frage, ob ich nach Lust und Laune aus dem Speisenangebot aussuchen dürfe, wurde bejaht. Die erste Service-Fee hielt es dabei nicht für erwähnenswert, dass es sich extra um eine Tageskarte handelte. Die allerdings hatte es in sich, als Beispiel hier die letzte des Jahres 2021: https://restaurant-pier6.de/?jet_download=4388 Wo gibt es denn bitteschön mittags eine Käseplatte und gleich noch in zwei Größen?
Wegen des Nachfolgetermins musste ein Glas Riesling-Sekt brut (7,2€/0,1l) aus der Weinkarte mit dem erwartbaren Schwerpunkt auf fränkischen Gewächsen reichen, ergänzt um zwei alkoholfreie Pils (je 3,6€). Ordentlicher Deckungsbeitrag.
Für den ersten Hunger gab es zweierlei eher mittelmäßiges Baguette, serviert im Leinensäckchen mit einer Art Frankfurter Soße. Leichter als der immer seltener anzutreffende Mörtelquark und schön kräuterig.
Ich startete gesundheitsbewusst mit einem Salat, überwiegend Rauke und Ampfer und einigen weiteren Kräutlein, dazu Hornveilchen-Blüten. Ein wenig (hüstel) Beilage durch reichlich à la minute gebratene Entenleber, geschmorte Apfelspalten, die erneut eher auf der süßen Seite waren, was durch das Kürbis-Chutney schön ausbalanciert wurde. Und dann waren da vielleicht noch die klitzekleinen Streifen phantastisch knusprigen Specks... Gemüse und Obst. So wichtig...
Jedenfalls: Für 15,5€ ein erstklassiges kleines Herbstgericht am Tag vor dem Winteranfang.
Die folgende Maronensuppe holte die Kastanien aus dem Feuer bzw. an den Gaumen, trotz reichlich eingesetzter Crème fraîche. Noch eine leichte Textur der leckeren Nüsse erkennbar, so zwischen geschmeidig und erdig-sandig. Geschmacklich recht süß, weil (mir) etwas kontrastierende Säure oder nach hinten raus Schärfe fehlte. Aber das sind ja häufig meine PPP - persönlichen Papillen-Probleme. Sehr gut dagegen die drei Scheiben geräucherte Entenbrust. Zart, eindeutig und vor allem nicht zu salzig. Das ergab schon Sinn in der süßen Suppe. Nur die in der Karte ausgewiesene rote Korallen-Hippe erwies sich als neutrales, fingernagelgroßes Stück auf der Teller-Fahne. In dieser Ausführung entbehrlich. Mit 10,9€ nicht zu teuer bepreist. Später kam Herr Heumann nochmals vorbei und meinte, ein Schuss Orangensaft könnte die Suppe in der Tat vertragen. Kein Widerspruch von mir.
Als Hauptgang hatte ich mir zweierlei Schweinereien gewünscht. Da sich das etwas fett anhörte, sollte der Gaumen erst noch etwas erfrischt werden. Wofür sich die Kugel Blutorangensorbet aus dem Pacojet als ideal entpuppte. Wie der Moskowskaya mit in die Schale kam, bleibt rätselhaft (1,7€ + 3,8€). Positiv zu vermerken ist das Auge für eine hübsches Garnitur. Gerade Wünsche außer der Reihe werden in manchen Küchen eher stiefmütterlich behandelt. Hier lässt das Detail schon auf eine bestimmte Philosophie schließen.
Vom Elmloher Bio-Borstenvieh kam als Tagesangebot Bauch und Rückenstück auf den Teller, und das nicht zu knapp (30€). Letzteres schön gebraten, mit ein paar Salzflocken und leider nicht mehr rosa, aber überwiegend noch saftig. Stets eine enge Kiste, denn natürlich gibt es auch beim hiesigen Publikum die Abneigung gegen nicht durchgebratenes Schweinefleisch. Aber der Speck steuerte ja Fett bei. Bei den Beilagen sowohl Licht als auch Schatten. Mir gefiel der gut gewürzte, auf den Punkt gegarte Kartoffel-Karottenauflauf ausnehmend, auch mit seiner schon arg knusprigen Haube; anderen dürfte das schon deutlich zu keksig geworden sein. Auch die dunkle Sauce sehr schmackig. Das Pürree vom Hokkaido-Kürbis gehörte zu den besseren, weil geschmacklich eindeutigen und mutig gewürzten Vertretern seiner Art. Der wilde Brokkoli schmeckte ganz gut, nur leider war er höchstens lauwarm. Da hat das Timing beim Anrichten nicht gepasst. Aber das sind ja überschaubare Mängel.
Insgesamt ein sehr erfreulicher Abstecher an die Hafenkante, den ich gern mal wiederholen würde, z.B. in netter Gourmet-Begleitung!