"Hier wird der weltoffen praktizierten Bistronomie eine vielversprechende Weinauswahl an die Seite gestellt – serviert von jungen Gastgebern mit Enthusiasmus und Elan!"
Geschrieben am 15.04.2022 2022-04-15 | Aktualisiert am 15.04.2022
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"Gehobene Küche in künstlerischem Ambiente"
Geschrieben am 13.04.2022 2022-04-13 | Aktualisiert am 13.04.2022
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"Modern times - Marius Ries is back!"
Geschrieben am 02.04.2022 2022-04-02 | Aktualisiert am 02.04.2022
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"Leckere Grillspieße nach persischer Art lohnen einen Ausflug ins Hulsbergviertel"
Geschrieben am 27.03.2022 2022-03-27
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Noch beglückender ist es, wenn man diese Zeit mit einem sympathischen Gesinnungsgenossen, den man schon lange nicht mehr gesehen hat, teilen darf. Dies ereignete sich an einem Samstagabend Ende Februar, als ich mich mit Borgi, meinem guten Gaumenkumpel aus Bremen, zu einem kulinarischen „Väterabend“ verabredet hatte. Den Ort der Spachtelei legten wir schon Wochen vorher fest. Das Topaz, Bremens erste Brasserie am Platz, war dafür gerade gut genug.
Ins Topaz wollte ich schon lange einmal einkehren. Damals, als das in französischem Bistrostil gehaltene Lokal noch in der Langenstraße in der Bremer Innenstadt residierte, schlenderte ich mehrfach daran vorbei und schaute sogar kurz mal rein. Aber zum Besuch kam es dann doch nie.
Due Fratelli, Canova, Feines 1783 und zuletzt Grashoff’s Bistro lauteten die Namen, der vom Lokalmatadoren für würdig befundenen Genusstempel, in die er mich bisher führte. Der kundige GG’ler tat gut daran, denn einige der genannten Geschmacksinstitutionen sind mittlerweile Geschichte und ich bin froh, dass ich sie noch kennenlernen durfte.
Nun also das Topaz, das sich mittlerweile in Fesenfeld, einem beschaulichen Wohnviertel in der Östlichen Vorstadt nahe dem Ostertor befindet. Passable Einkehradressen hat es in diesem Teil Bremens einige. Der Besuch des nicht weit vom Topaz entfernten „Kleinen Lokals“ steht zum Beispiel noch aus.
Über das geschmackvoll gestaltete Innenleben des Topaz hat sich unser Bremer Szenekenner bereits detailliert ausgelassen. Wer sich also ein genaueres Bild vom gemütlichen Ambiente des Topaz machen möchte, dem empfehle ich die furiose Reset-Rezension des Herrn Borgfelder vom August letzten Jahres.
Über eine gut beleuchtete Schwelle enterten wir die von außen sehr einladend wirkende Eckimmobilie.
Der Bremer Grandseigneur eilte vorneweg, um den Provinzler aus der Pfalz mit der obligatorischen Portion großstädtischem Spott bei der munteren Servicechefin Nina Hinrichsen vorzustellen.
Diese widerstand dem rauen Charme des hanseatischen Heimrechtlers auf lässig-lockere Art und Weise wie es nur die abgebrühte „Femme du Nord“ zu tun gedenkt. Selbst um keinen Spruch verlegen, konnte sie mit dem augenzwinkernden Humor des Schlemmerschelms auf Augenhöhe umgehen. Man weiß hier scheinbar, dass eine gute Portion Schlagfertigkeit gepaart mit Meinungsstärke bei dieser Sorte Gast so gut wie immer fruchtet.
Nach eingehender Überprüfung der Impfformalitäten, wurde uns ein kreisrunder Bistrotisch mit bequem gepolsterten Barhockern zugewiesen.
Ein hervorragender Platz zwischen der softporno-ästhetischen Cocktail-Höhle, die unter der Ägide von Getränkefachmann Ibo (Ibrahim) Aly stand und der von Wärmelampen beschienen Anrichtetheke aus Zinn, hinter der Lisa Staats und Fynn Fabian gemeinsam die offene Küche betrieben.
Schon bald füllte sich die aus dem Holz diverser Weinkisten „geschnitzte“ Oberfläche unseres Tisches mit den ersten Getränken. Borgi hatte unserem Mundschenk Ibo in Sachen Apéro freie Hand gegeben. Kein Fehler, wie sich bald herausstellen sollte. Denn dieser kredenzte uns wenig später einen aromatischen Blutorangen-Negroni (12 Euro).
Seine „Bittersweet Symphony“ – um es mit den Worten von Richard Ashcroft (The Verve) zu sagen – stellte sich als veritabler „Türöffner“ heraus und löste auch die letzten Handbremsen bei den darauffolgenden Bestellvorgängen. Für den darin enthaltenen Blutorangen-Booster war übrigens Schnapsdrossel Florian Faude vom Kaiserstuhl verantwortlich, der das 42%-ige Destillat aus sizilianischen Früchten hergestellt hatte. Kein hochprozentiger Kleingeist also, der unseren „Pre-Dinner-Cocktail“ da veredelte.
Zeitgleich zum Aperitif rückte man auch unserem Durst zu Kehle. In nicht minder ästhetischen Kristallgläsern sprudelte klassisches Blubberwasser aus Bad Pyrmont (0,75l für 6,50 Euro). Aber Wasser sollte an diesem Abend nicht die Hauptrolle spielen…
Dann sichteten wir die etwaigen Speiseoptionen, die sich in der übersichtlich gestalteten Karte in drei Bereiche gliederten: Vorspeisen, Hauptgerichte und Kleinigkeiten zum Wein. Apropos Wein, da zeigte uns Sommelier Ibo gerne, was sein Bestand so zu bieten hatte. Insofern wählten wir nicht aus der Karte, sondern eine der uns angepriesenen Flaschen, die er direkt an den Tisch brachte.
Die Erstentscheidung durfte der Gast aus der Pfalz treffen. Warum nicht einen der komplexesten und intensivsten Sauvignon Blancs Deutschlands (laut Weinhändler Belvini, Anm.) auf Primärbukett und Abgang testen? Den „Baer“ von Oliver Zeter aus Neustadt-Haardt hatte ich noch nie probiert.
Der als Hommage an seinen Urgroßvater betitelte, im gebrauchten 500l-Tonneau sowie im Beton-Ei ausgebaute Sauvignon Blanc aus dem Jahre 2014 – mit 48,50 Euro übrigens ausgesprochen fair kalkuliert – konnte nach ausreichendem Luftkontakt seine feine Mineralität gut entfalten. Auf dem rückseitigen Flaschenetikett standen die Begriffe „Sandstein – Hingabe – Zeit“ wie in Wein gemeißelt nachzulesen. Mit ihnen konnte sich nicht nur der Kletterer aus der Südpfalz, sondern auch der Weißweinzombie von der Weser nach einiger Zeit zumindest schluckweise identifizieren.
Doch bevor wir uns der lang ersehnten, gemeinsamen Genusskultur ergaben und uns einmal quer durch das Topaz’sche Speisenprogramm futterten, wurde uns fluffiges Ciabatta-Brot mit streichfähiger Butter gereicht. Ein einfacher, aber ganz vorzüglicher Start in die abendliche Nahrungsaufnahme.
Die ersten Häppchen kamen dabei einem kulinarischen Eingrooven gleich. In Olivenöl gebratene und mit etwas Meersalz versehene Pimientos de Padron (5,50 Euro)
sowie ein – dank Chiliwürstchen – angenehm scharfer Miniatur-Hot-Dog (3,70 Euro) bildeten den Auftakt.
Nicht verschweigen möchte ich die Tatsache, dass diese ersten Leckerbissen von auf den Punkt gebratenen Riesengarnelen in aufgeschäumter Chili-Butter (zu je 4,60 Euro) flankiert wurden.
Das war durchweg schmackiges Fingerfood und machte neben einer gehörigen Menge Spaß auch so richtig Appetit auf mehr.
Und mehr war an diesem Abend auch Meer. Dieses hatte ich nach unserer zweiten Bestellwelle in Form einer Fischsuppe à la Topaz (9,50 Euro) duftend vor mir stehen.
Wie eine Bisque, nur etwas weniger konzentriert, schlummerte die mit reichlich Fischfilets und Flusskrebsschwänzen bestückte Meeresterrine in den Tiefen des Tellers. Ihr leicht süßlich-jodiges Aroma ließ die Verwendung ausgekochter Fischkarkassen oder Krustentierschalen vermuten.
Nicht minder begeistert zeigte sich mein „Compañero del mar“. Sein butterzart gegrillter, in Ringe geschnittener Sepia (16,50 Euro) thronte auf nussigen Belugalinsen und duftete obendrein subtil nach Anis.
Schuld daran war eine großzügig bemessene Pfütze aufgeschäumter Pernod-Sauce, die mit ordentlich Butter montiert war. In der Summe ergab das einen wunderbar süffig-aromatischen Bistroteller der südfranzösischen Art.
Die in Scheiben geschnittene sizilianische Blutorange (13,50 Euro) – hatten wir die nicht vorher in flüssiger Form bereits zu uns genommen? – wurde brüderlich geteilt.
Etwas Pecorino (5 Euro) hatten wir additiv dazu geordert.
Er lieferte zwar mundfüllende Würze, wäre aber auch entbehrlich gewesen, da das mit leichter Sojasauce, knackigen Fenchelstreifen, gepickelter roter Zwiebel, grüner Chili und etwas Fenchelgrün verfeinerte Blutorangencarpaccio gar keinen Umamischub gebraucht hätte, um seine aromatischen Trümpfe voll auszuspielen.
Ein Gericht, dass dank ausreichend vorhandener Würze nicht ins saure Einheitsmilieu abdriftete, sondern mit fordernder Säure und präsenter Schärfe seine Komponenten zur Geltung brachte. Ein Teller mit Charakter, der nun auch unseren Papillen unmissverständlich klarmachte, dass dies kein Abend für Warmduscher werden würde.
Mittlerweile war uns der „Baer“ ausgegangen, was den Bordeauxfelder neben mir dazu animierte, eine weitere Bouteille öffnen zu lassen. Wir blieben dem Sauvignon Blanc treu und ließen uns eine Flasche Chateau Doisy-Daëne Sec 2016 (66 Euro) schmecken. Einen echten Spaßmacher hatten wir da im Glas, der mit seiner aromatischen Nase und der latent salzigen Länge nicht die schlechteste Einstiegsdroge ins weiße Bordeaux darstellte.
Mein Partner in Dine hatte da bereits klammheimlich einen Sashimi-Teller (21,50 Euro) geordert.
Diesen mit zahlreichen, schön fettigen Lachstranchen und tiefroten, akkurat gesäbelten Thunfischhappen ausgestatteten Zwischengang klemmten wir uns genussvoll zwischen die dazu gereichten Essstäbchen. Sojasauce, eingelegter Ingwer und Wasabi-Knet bildeten das klassische Beiwerk. Die butterzarten Rohfischpreziosen schmolzen förmlich auf der Zunge. Und dass der Weißwein aus dem Departement Gironde dazu eine ausgezeichnete Figur machte, überraschte nicht wirklich.
Wer jetzt denkt, dass damit die wohlgeratene Gaumenorgie ein jähes Ende fand, täuscht sich gewaltig. Genug der kulinarischen Vorspiele. Handfeste Hauptgänge waren nun das Gebot der Stunde. Der nette Herr zu meiner Rechten ließ sich doch tatsächlich ein Wiener Schnitzel mit Gurkensalat (21 Euro) servieren.
Schon der Anblick des von luftig soufflierter Panade umgebenen Kalbfleischteppichs machte sie richtig Appetit.
Solch ein perfekt durch die Pfanne geschleustes, mit der richtigen Dosis Pfeffer und Salz versehenes Panierstück bekommt man im Hamburger Schnitzeltempel „Tschebull“ bestimmt auch nicht besser hin.
Mein Hauptgericht fiel etwas üppiger aus als geplant. Ich hatte mich für den gebratenen Skrei mit famos gebuttertem Kartoffelpüree und Spinat (27,50 Euro) entschieden und merkte schon nach den ersten Happen, dass der Verzehr dieser stattlichen Portion kein Selbstläufer werden würde.
Und das lag nun wahrlich nicht an den Protagonisten. Der Winterkabeljau geriet tadellos – comme il faut. Sein zartblättriges Fleisch war von einer knusprigen Haut überzogen und punktete mit dezenter Fettigkeit. Das seidige Püree konterte den mutig gewürzten, mit feiner Knoblauchnote versehenen Spinat. Dazu wurde à part eine leichte Joghurt-Senfsauce gereicht. Ein in sich stimmiges Brasseriegericht, das von der Küchencrew sauber auf die Keramik gebracht wurde.
Selbst Häuptling „Schluckender Specht“ schien vom Magenvolumen des Pfälzers beeindruckt und leerte panisch sein letztes Gläschen Weißwein. Doch wir saßen nicht lange auf dem Trockenen. Angespornt von diversen (bereits ausgetrunkenen) Flaschen des legendären Luddite Shiraz aus Südafrika, die hinter uns die Ablage dekorierten, wurde nach einer Demi-Bouteille des Jahrgangs 2018 (45,50 Euro) verlangt.
Der perfide Plan des Schampus-Schlawiners ging auf. Statt auch mal seine maskuline Seite zu bedienen und einen gehörigen Schluck von diesem fruchtig-eleganten „Super-Südafrikaner“ zu nehmen, zog es der gemeine Schaumweinhanseate lieber vor, sich ein halbes Fläschchen André Clouet Grande Reserve Champagner (0,375l zu 45 Euro) zu genehmigen. Watt mött, dat moett! Sagt man ja nicht nur an den Ufern der Weser.
Diese mündet ja bekanntlich in die Nordsee, die man sich im Topaz sogar als Nachtisch bestellen kann. Borgi kannte das Dessert bereits aus früheren Zeiten und in der Tat erinnerte mich das akribisch arrangierte Patisseriekunstwerk optisch an meine Deichspaziergänge an der Wurster Nordseeküste ein paar Tage zuvor.
Zwischen Schlick (mit Sepiatinte eingefärbter Limetten-Schmand), Treibholz (zu kleinen „Ästen“ temperierte Schokolade), Gischt (mit Meersalz abgeschmeckter Milchschaum) und Steinen (Honeycomb aus Honig, der mit Zucker, Glukose und Natron versetzt wurde) wirkte die Nocke vom salzigen Erdnusseis wie eine obenauf schwimmende Boje.
Hätte man diesem Teller einen Tischventilator an die Seite gestellt, wäre das auflandige Seewindgefühl perfekt gewesen und hätte uns wahre Möwenschreie der Begeisterung entlockt. Stattdessen genossen wir das letzte (schwör!) kulinarische Statement des sympathischen Küchentandems in schwelgerischer Andacht.
Obwohl es keines Alkohols bedurft hätte, um unsere Zungen zu lockern, intensivierte dieser doch zweifellos die Gespräche an und um unseren Tisch. Ja, man hatte sich nach so langer Zeit eine ganze Menge zu erzählen und auch der emsige Ibo und die charmante Nina trugen mit ihrer zugewandten Art mit dazu bei, dass uns nie langweilig wurde.
Zu später Stunde – selbstverständlich hielten wir bis zuletzt hartnäckig die Stellung – saßen dann auch Lisa und Fynn bei uns am Tisch und stießen auf diesen in allen Belangen gelungenen Abend mit uns an. Ein großes Dankeschön geht an die komplette Topaz-Crew, die einen hervorragenden Job machte und der man jederzeit anmerkte, dass sie lieben, was sie tun. Selten habe ich mich bei einem Erstbesuch so schnell heimisch gefühlt wie bei euch!
Dass Kollege Pichlfelder und ich danach noch im „Feldschlösschen“ in der Herderstraße mit diversen Cocktails den späten Abend zum frühen Morgen machten, kam für keinen von uns beiden mehr überraschend. Wir genossen diese lang ersehnte Zusammenkunft tatsächlich in „vollen“ Zügen und so lange es eben ging.
Danke lieber Borgi für diesen Abend, von dem ich noch lange gezehrt habe – ganz besonders natürlich beim Schreiben dieser „kleinen“ Ode an den Hedonismus. Dass du die komplette Getränkerechnung beglichen hast, war sehr großzügig von dir. Aber du hattest ja auch den wesentlich größeren Durst…;-)
Und so möchte ich mit den Worten des geschätzten Lyrikers Carl Zuckmayer schließen, die unser Gefühl beim Verlassen des Tatorts ganz gut auf den Punkt bringen:
erlesener Bissen Liebreiz zu erflehn,
und welche Lust: sich mächtig vollzumästen
satt und mit Saft gefüllt vom Hals bis zu den Zeh'n.“