"Glory days well they'll pass you by - zu Gast in Wuppertals altehrwürdiger Pizza Institution an der Gathe"
Geschrieben am 20.03.2016 2016-03-20 | Aktualisiert am 25.03.2016
"Buntes Bad Bentheimer Landschwein, verwurstet in einem Wurstmanufaktur-Restaurant."
Geschrieben am 03.03.2016 2016-03-03 | Aktualisiert am 20.05.2016
Heute freue ich mich ganz besonders, denn die geschätzten Vor-Rezensenten sind mir alle persönlich - auch außerhalb der virtuellen Weiten des WWW – bekannt, wir pflegen seit einigen Jahren einen freundschaftlichen Kontakt und alle scheinen diesem Restaurant durchaus nostalgisch-wehmütig wohlgesonnen zu sein, liest man die wunderbaren, persönlich geprägten Rückblicke auf „Glory days“ im bergischen Lokalkolorit.
So war es auch Springsteen Fan First, mit dem ich seit langem einen „bilateralen“ Besuch bei unseren seit Jahrzehnten geschätzten, persönlichen Traditions-Italienern geplant hatte.
In der mintgrünen Ambiente-Hölle des Solinger Bellanova waren wir bereits zu Gast, nun bot sich die Gelegenheit zu einer Einkehr im sagenumwobenen Pizza Pazza, das offenkundig seit den frühen 20er Jahren die Gaumen von Generationen geneigter Wuppertaler prägt.
Zunächst einmal galt es jedoch, den berufsverkehrlichen Tücken der A46 ausweichen, einer Autobahn, die einst nur dafür entworfen und mit Langzeitbaustellen übersäht wird, um Menschen zu quälen und deren Belastungsgrenzen auszutesten. Eine Straße als psychologisches Massen-Experiment? Ja, in diesem Fall bin ich davon überzeugt.
Ich fuhr also entspannt parallel der Autobahn und genoss dabei eine schöne Aussicht, dem Verlauf der Straße Mollenkotten sei Dank - jetzt noch einen guten Parkplatz am Restaurant, und die Welt ist in Ordnung.
Noch 900 Meter bis zum Ziel, Anruf von First „Wo bist Du? Zwei super Plätze direkt frei vorm Lokal, musst nur 300 Meter weiter wenden und zurück fahren, vorher geht das nicht!“
Hmm, „vorher geht das nicht“ klang nach baulichen Hindernissen in der Fahrbahnmitte, dem war nicht so - sieht man von dem wartenden dicken Mann auf dem Bordstein vor dem Lokal ab - und schon stand der andere Vorbild-Athlet nach einem souverän-dynamisch-illegalen Wendemanöver in einer generösen Lücke direkt vor dem Eingang.
Herzliche Begrüßung, kurzer Aufriss der Lokalgeschichte der ehemaligen Kneipenmeile aus Vaters besten Jahren und nichts wie rein in die gastronomische Zeitkapsel. Hier hat sich erfreulich wenig getan in Sachen Zeitgeist, sieht man von dem zwischenzeitlichen Verzicht auf rot-weiß karierte Tischdecken und Lambrusco Flaschen mit Tropfkerzen ab, was laut First in den frühen Jahren noch klischee-erfüllend Usus war.
Kritik
Zum Ambiente und zur Außendarstellung ist in den Vorkritiken mehr als erschöpfend geschrieben worden, wem meine Fotos hier nicht reichen möge hier nachlesen, die Farbtöne und Materialien einzelner Sitzkissen zu beschreiben ist nicht gerade mein persönliches Steckenpferd.
Wunderschön, edel und zeitgeistig geht sicher anders. Für mich aber ist entscheidend, ob ich mich wohlfühle, und das habe ich mich durchaus sehr, was aber auch an unserem lebhaften Gespräch, gegenseitigen Frotzeleien, einem aufmerksamen Service und dem Wissen um die jahrzehntelange Historie dieses Lokals lag – mir allemal lieber als seelenlose Retorten-Höhlen, die mit großformatigen, „ikeaesquen“ Foto-Prints an der Wand glänzen.
Wobei, wenn ich schreibe „zeizgeistig geht sicher anders“ muss man hier sicher relativieren, in Zeiten von Shabby Chic und ungebrochener Vintage-Begeisterung wird es sicher viele geben, die eine authentische, rustikale Atmosphäre zu vielen Gelegenheiten eher schätzen als High-Gloss und das im letzten Absatz erwähnte „Ambiente-Genre“.
Signore Cameriere in den besten Jahren machte einen guten Eindruck, im positiven Sinne wie das Ambiente einen Hauch aus der Zeit gefallen mit den nach hinten gegelten Haaren, dem makellosen weißen Hemd und der schwarzen Hose, Kellnertracht wie vor 40 Jahren eben.
Den Tisch durften wir uns aussuchen, ein netter Ecktisch war schnell gefunden, ah die Karten, grazie, Getränke? Si, bitte ein kleines Pils, ein viertel vom offenen Weißen und eine Flasche Wasser.
Das 0,25l Brinkhoffs zu moderaten 1,90€ stand bald auf dem Tisch, ebenfalls 0,75l SP zu 4,40€, dazu Firsts Chardonnay in der Karaffe zu ebenfalls freundlichen 4€.
Die Bestellung an Problemlosigkeit nicht zu überbieten: Pasta-Gerichte auch in Primi Piatti Portionen? Si! Kleine Belagsänderung bei der von Carlo empfohlenen Quattro Stagioni? Kein Problem! Ein Glas Rotwein statt einer Karaffe, der aber erst zur Pizza? Naturalmente!
Bruschetta classica – 2,20€
Auf den Punkt geröstetes Weizenbrot, reife Tomaten, Basilikum, Knoblauch, etwas Salz, fertig.
Großartig, keine schrecklichen rohen Zwiebeln und bei diesem Häppchen ist sogar die Crema di Balsamico auf dem Rucola nebenan mal keine überkommene, überflüssige Kunst am Bau sondern macht auch geschmacklich Sinn zur Abrundung einzelner Bissen. Erwähnenswert auch die gute Verarbeitung der Tomaten, kein Strunkansatz, keine hellen, wässrigen Stückchen aus dem Kerngehäuse trübten das Vergnügen, einfach vorbildlich filetiert, sieht man von der hier natürlich nicht entfernten Haut ab.
Ich finde, 2,20€ sind angesichts dessen, dass für Ähnliches bei Mitbewerbern gerne 4 bis 7 Euro aufgerufen werden, ein mehr als fairer Preis für das Gebotene.
First bekam derweil einen äußerst „filigranen“ Salat mit dem mondänen Titel "Monte Carlo" serviert, der mich auf den ersten Blick an eine XXL Müslischüssel auf einer Almhütte erinnerte, wohl aber zu seinen absoluten Evergreens zählt.
Spaghetti Frutti di Mare (Vorspeisen Portion) – 8,50€
Ich hatte mir die drei Kritiken vorab nochmal gut durchgelesen, dieses Gericht hatte mich dabei sehr angesprochen, visuell auf dem Foto, wie auch in der nicht minder bildhaften Schilderung von Carlo.
Die just aus der Pfanne kommende Pasta duftete herrlich, Tomaten, Basilikum, ein Hauch Knoblauch und eine appetitliche Brise Meer erfreuten den Geruchssinn und machten Appetit.
Etwas frisch gemahlenen Pfeffer aus der Mühle gab ich obenauf, das gerne angeführte Dogma, bei Pasta mit Fisch niemals Parmesan nehmen zu dürfen, wird zwar selbst in Italien sehr individuell gehandhabt, ich persönlich finde aber auch, dass gereifter Parmesan maritime Note eher überlagert und verzichte in dem meisten Fällen darauf.
Was die Nase schon vorfreudig vernommen hatte, kam auch weitestgehend auf dem Gaumen an, ein wunderbares, dezent aber vollkommen ausreichend abgeschmecktes à la minute Sugo aus der Pfanne: Kirschtomaten, ein gutes Olivenöl, Pfeffer, Salz, etwas Knoblauch – wenn die Zutaten stimmen, kommt der Geschmack fast ganz von alleine und hier zeigt sich, wie authentisch süd-italienisch hier gekocht wird, ein überwürztes Sugo hätte die Meeresfrüchte kaum zur Geltung kommen lassen.
Die Pasta war angenehm al dente gegart und zeichnete sich durch eine hohe Sugo-Aufnahmefähigkeit aus, was in der Regel für gute Qualität steht.
Auch die Meeresfrüchte waren nicht überwürzt oder eigentlich zum Kaltverzehr mutig mariniert und trotzdem in die Pfanne geworfen, was geschmacklich und in Sachen Konsistenz meiner Meinung nach ein Graus ist, aber in einfachen Pizzerien manchmal so gehandhabt wird.
So aber gingen das Sugo und die Frutti di Mare eine wunderbare Symbiose ein und letztere waren butterweich und dabei geschmacklich differenzierbar.
Pizza Quattro Stagioni (klein) – 6€
Primitivo – 0,2l 3.20€
Now let´s talk Pizza! Die Tatsache, dass ich die Champignons durch Spinat ersetzt hatte, schien den Pizzaiolo dermaßen erzürnt zu haben, dass er die Artischocken tendenziell wenig liebevoll arrangierte, so waren es eher tre stagioni mit einer Zentral-Saison in der Mitte, naja aber die Jahreszeiten vermischen sich ja ohnehin immer mehr, vielleicht ein stiller Protest gegen den Klimawandel.
Das war es aber auch schon mit der Kritik, der dampfende Rundling vor mir (nein, nicht First) verströmte wie schon die Pasta sehr ansprechende Aromen, eine neapolitanische Pizza wie sie im Buche steht, kochend heiß direkt aus dem Ofen, das ist für mich dolce vita pur.
Der Boden war geschmacklich ebenfalls aus der Zeit gefallen, wenn ein simpler Pizza Teig mich beim ersten Bissen in die Kindheit versetzt, Erinnerungen an Italien-Urlaube und erste Pizza-Erfahrungen um 1980 wieder präsent werden, dann sagt das für mich ganz persönlich viel.
Gehaltvoll, ehrlich, man schmeckt das besondere Mehl, die Hefe, das Olivenöl; der Boden nicht hauchdünn zersplitternd sondern vielleicht etwa 2mm dick und dabei angenehm knusprig und stabil genug, um ein Pizza-Achtel nur am Rand halten zu müssen, hätte man mit den Händen essen wollen – die Temperatur im Ofen hat gestimmt, soviel steht fest.
Ansonsten eine schöne, fruchtig runde Pizzaiola, Sugo, Sauce, was man auch immer persönlich zu ihr sagen möge, auch diese nicht überwürzt oder mit Knoblauch erschlagend (mein worst case).
Der Mozzarella herrlich verlaufen, Salami und Schinken von durchschnittlicher aber sehr akzeptabler Qualität, die von mir erbetenen Peperoni auf der Salami Ecke ließen auch mich als Chili Fan einmal herzhaft nießen, Scoville Jüngern sei die Peperoni Salami Pizza wärmstens empfohlen.
Für 3,20 bekommt man in einfachen Pizzerien in der Regel keine großen Tropfen, leider aber auch viel Schreckliches, der Primitivo hier war mehr als gut trinkbar, ein solider, sauberer Primitivo, der in seiner einfachen, unverstellten Natur absolut hervorragend zum Essen passte.
Mascarpone alla Grappa (kleine Portion) – 3,50€
Ich bemerkte eigentlich, pappsatt zu sein und kein Dessert mehr zu schaffen. Kollegin Obacht! schaffte es aber aus dem fernen Garmisch (oder „Yetis Gefilden“, wie Herr Beermann diesen Landstrich gerne nennt), First zu einem opulenten Nachtisch zu überreden, als ich für eine Minute nicht am Tisch war.
Der kam dann auch prompt mit zwei Löffeln und naja, hilf ja nix, probieren muss man ja mal…
Zwei ordentliche Kleckse einer alkoholgeschwängerten Mascarpone-Masse, oben auf zerbröselte Amarettini, mittig ein auch nicht gerade nüchterner, hübsch verzierter kleiner Spiegel von Vanille und Schokosauce, dazu Kiwi Scheiben.
Das fügte sich in der Präsentation wie auch geschmacklich hervorragend in die kleine Menüfolge ein: ehrliches, gutes Essen, wie man es sich für den alltäglichen Besuch in einem familiär geführten, einfachen italienischen Restaurant nur wünschen kann.
Einen Grappa aufs Haus lehnte ich aus automobilen Gründen ab, dieser wird aber angeboten und ist laut Grappa Connaisseur First sehr akzeptabel.
Eine EC Zahlung kann trotz aller Nostalgik übrigens bequem am Tisch erledigt werden, ein Trinkgeld haben wir natürlich auch gerne gegeben.
Fazit
Ohne Frage questa emozione für alle Wuppertaler, die dieses Lokal aus der Kindheit kennen und zum generationsübergreifenden Wohlfühl-Dinner nutzen, oder mit den Kumpels oder Mädels gute Pizza, Pasta, Steaks, Bier und Wein genießen wollen, ohne hierfür einen Kredit aufnehmen zu müssen.
Aber auch ohne zu viel Emotionen ein sehr anständiger Traditionsladen, gut geführte, authentische Küche, höflicher und präsenter Service und ein exzellentes PLV.
Das Ambiente gewinnt sicher keinen Preis für moderne Innenarchitektur, mir gefiel es gut, alles war sauber und gepflegt, nur die Stühle vielleicht einen Hauch unbequem.
Meiner Madame haben die Fotos derart gut gefallen, dass ich wohl nächste Woche mal mit ihr hier hin muss, und das werde ich gerne tun – a presto, cara Pizza Pazza!