Wir verwenden Cookies
Wenn Sie unsere Webseiten besuchen, kann Ihre Systemsoftware Informationen in Form von Cookies oder anderen Technologien von uns und unseren Partnern abrufen oder speichern, um z.B. die gewünschte Funktion der Website zu gewährleisten.
Die Anlaufschwierigkeiten sowie recht eingeschränkte Öffnungszeiten hatten meinen Besuch in dem äußerst pittoresken Häuschen Ecke Allerheiligenstraße/Waagegasse bislang verhindert. Tatsächlich wird der Betrieb beider Lokalitäten zumindest im Service derzeit von derselben „Crew“ gestemmt, d.h. dem Betreiber und seiner wie stets zurückhaltend agierenden vietnamesische Angestellten. Keine Beschwerden meinerseits, auch selten.
Obwohl aus den kleinen Fenstern heimeliges Licht auf die Straße fiel, war der Eingang gar nicht leicht zu finden, denn auf dem verschlossenen wirkenden Tor gab es keinen Hinweis auf den in der Durchfahrt zum Hof befindlichen Einlass. Wenn man es weiß, wirkt es aber angenehm altertümlich, wie so vieles in der schönen Waidfärber-Stadt.
Einmal in der Cantina angekommen, betritt man einen kleinen Zwischenraum, der Servicestation, Garderobe und Weinregal enthält.
Links ein schöner Raum mit rustikalen Hochtischen, der mit Blick in die Küche geradezu für ein zwangloses Tapas-Vergnügen gedacht scheint. War er auch, aber die Behörde sieht ein Abluftproblem, das den Einbau einer größeren Abzugshaube verlange. Was der Wirt unter Verweis auf Sonderregelungen für kleine Lokale vehement bestreitet. Fortsetzung folgt…
Konsequenz ist, dass nur im Vorderraum serviert werden kann, der einen gänzlich anderen Charakter hat: Kahl, nämlich. Drei weiß getünchte Wände ohne jeden Schmuck. Eine Seite immerhin moosgrün gestrichen, vor dem der weiße Flachheizkörper irritierend fehlplatziert wirkt. Immerhin gefällt mir die aus dem Estima bekannte Lampe in Form einer goldfarbenen Rundscheibe, die indirekt beleuchtet ist. Trotzdem eine äußerst kühle Atmosphäre, so dass mir beim Eintritt spontan ein „Recht ruhig hier!“ entfuhr. Ein einzelner junger Gast verzog keine Miene; er war zum Vorstellungsgespräch für den Service erschienen. Ein Paar lächelte gequält und unterhielt sich weiter im Flüsterton. Keine Musik lenkte von der kontemplativen Atmosphäre ab. Ich erwog, auf dem Absatz kehrtzumachen. Hatte allerdings beim Gang durch die Stadt zwei angedachte Alternativen geschlossen oder völlig überfüllt vorgefunden. Was für ein Gegensatz. Ich setze mich zögerlich direkt an den Eingang, falls mich der Fluchtreflex überwältigen sollte. Nun setzte auch akustische Untermalung ein. Wenige Töne der einzelnen, vermutlich maurisch klagenden Klarinette genügten, um den Eindruck einer protestantischen Trauerfeier übermächtig werden zu lassen. Ich verbündete mich mit dem Paar und forderte einen Wechsel der deprimierenden Musik. Die folgende melancholische Gitarrenmusik erinnerte zwar mehr an Portugal als Katalonien, war aber der erste kleine Lichtblick.
Die Weinkarte ähnelt dem Estima und setzt eher auf einfachere Gewächse, was ich hier völlig okay finde. Ich wählte vom oberen Ende der weißen Fraktion einen Godello von Palacios, der durch Treixadura Körper bekam und mich später wacker durch den Abend begleitete. Bei 46€ unterstelle ich eine Kalkulation mit Faktor 3. Den unbenannt gebliebenen Cava würde ich für 8,8€ nicht erneut bestellen. Die Karaffe Leitungswasser steht mit 4,5€ in der Karte; dazu wurde auch hier schon alles Wesentliche gesagt. Muss man ja nicht bestellen.
Inzwischen war ich mit Gastgeber Feldner allein, der mir erklärte, dass das inzwischen entschwundene Paar das Konzept der Cantina nicht verstanden habe: Man sei gerade keine Tapas-Bar, in der man Oliven, Pimientos oder Dátiles zu Bier, Wein oder Sherry knabbere. Sondern ein richtiges Tapas-Restaurant, wie sie in Katalonien und dem Baskenland seit einiger Zeit schwer angesagt seien. Ich nickte verständig, knabberte an meinen Oliven, nippte am Wein und dachte an Küchenphilosoph Andrià „Ferran“ Möller: „Bilbao oder Barcelona, Hauptsache Thüringen!“
Aber ich schweife ab.
Auf der Karte in der Tat Klassiker der spanischen Kleinigkeiten, aber eben modern interpretiert, verfremdet oder weiter entwickelt. Die Oliven der Sorten Arbequina, Manzanilla und Lucques waren allerdings noch „original“ und ausgezeichnet! (Zu „Oliven“ anderer Art siehe hier: https://www.gastroguide.de/restaurant/263465/estima-by-catalana/erfurt/bewertung/41179/ ).
Mit 6,9€ alles andere als billig, aber von einem kleinen Laib wunderbar knusprigen Weißbrotes begleitet. Und wenn man bedenkt, was da sonst so für harte, teils gefärbte Geschmacklosigkeiten ins Schälchen kommen…
Auf die „2-erlei Aioli - unser beliebter ‚Catalana‘ Top-Klassiker“ verzichtete ich im Interesse meiner Gesprächspartner am nächsten Morgen.
Und bestellte von der einschließlich Snacks und Desserts erfreulicherweise nur 15 Positionen enthaltenden Speisekarte stattdessen:
An dieser Stelle ein Hinweis:
Der festangestellte Koch hatte Urlaub und die Zweitbesetzung war kurzfristig erkrankt. Es kochte daher ein neuer Mitarbeiter, der zuvor ganze zwei Tage hospitiert hatte. Klar, dass da einiges holpert. Einen Teller musste ich zurückgehen lassen; er wurde anstandslos neu und besser ersetzt. Kurz kam mir der Gedanke, die Küchenleistung ausnahmsweise gar nicht zu bewerten, aber ich hab ja auch voll bezahlt. Daher aber diese Erläuterung.
Der katalanische Spinat zu Beginn war toll: Warm serviert und mit Rosinen und Pinienkernen, süß, nussig und mit einer feinen Bitternote. Speck-Krusteln steuerten Textur und etwas Salzigkeit bei. Das ausgelassene Fett verlieh den Blättern, die in der Pfanne nur kurz angezogen hatten, eine unerhörte Süffigkeit. (Gut angelegte 8,9€)
Auch gut das Thunfisch-Tatar von Balfegó(!), das von einer Tomatenmarmelade und Pinienkernen - jedoch auch in Form einer hübschen Crème - ebenfalls ansprechend begleitet wurde. Die Wiederholung von nussig und fruchtig-süß ist nicht etwa der Einfallslosigkeit der Küche, sondern meiner Auswahl geschuldet. Die Zutaten waren alle in der Karte aufgeführt. (Durch das Produkt noch einigermaßen erträgliche 17,9€)
Weiter ging es mit dem Carpaccio vom Kaisergranat. Herr Feldner musste einräumen, dass dieses an sich tolle Produkt nach dem Plattieren eingefroren wurde, weil es sonst zu schnell verderbe. Das merkte man leider an einer Wässrigkeit, die den ohnehin feinen Geschmack endgültig killte. Neben Zitronensaft und Olivenöl sollte Pancetta - ausgebraten und wiederum als Crème - die Idee eines „Mar y Montaña“ umsetzen. (¡Stolze 17,9€!)
Für das Auge etwas gewöhnungsbedürftig die Erfurter Variante der mallorquinischen Sobrassada:
Ein typisch kräftig gewürztes Wurstbrät, aber vegan auf der Basis von Sonnenblumenkernen wurde mit Süßkartoffelbrei und einem krümeligen tomatisierten Ei (lt. Karte gebacken, an diesem Abend eher aus der Pfanne?) kombiniert. Am Gaumen funktionierte das aber sehr ordentlich. (Lecker, aber mit 13,9€ teuer und mit einem Euro mehr als angekündigt bezahlt.)
Die erst dekonstruierte und dann neu zusammengesetzte Tortilla überraschte im zweiten Versuch als eine luftige Omelette-Tasche, die zumindest nicht „unübliche Verdächtige“ präsentierte, indes im kreativen, neuen Gewand: Weiche, süße Röstzwiebeln versteckten sich in einem mächtig fetten, aber geschmacklich deutlichen Kartoffel-Espuma. Statt des leider zähen statt knusprigen Kartoffelstrohs hätte ich mir eine Gemüsekomponente gewünscht. Eine spannend konstruierte, aber mir zu schwere Variante für angemessene 10,9€; mit - von mir verschmähten - Gamberones 3 Euro mehr.
Nach diesem Toda-España-Klassiker ging es wieder zurück in den Nordosten. Die Kombination von Fleisch und Schokolade ist eine Herzensangelegenheit der katalanischen Küche und für das zarte, saftige Kaninchenragout hätten selbst kritische Saartaucher die Strapse abgelegt! Herrlich rustikal und kräftig genug dazu eine Spitzkohlpraline (à part gereicht und prompt beim Fotografieren vergessen) und leicht angebratener Kartoffelstampf. (Sehr gern gezahlte 14,9€.)
Angesichts der an Raciones heranreichenden Portionen war ich gut gesättigt. Aber Herr Feldner wollte unbedingt, dass ich eine weitere Schoko-Spezialität aus Barcelona koste: Pa amb Xocolata ist eigentlich eine geröstete Weißbrotscheibe, die man während des Bürgerkrieges mangels Wurst oder Käse mit Schokolade belegte. Hier wieder dekonstruiert als krosse Krümel und cremige Mousse, aber deutlich auf der Dessert-Seite, trotz Olivenöl und Salz. (Ohne Einladung wären 7,9€ fällig gewesen.)
Bleibt ein schwieriges Fazit: Der Cantina waren die Anlaufschwierigkeiten gleich in mehrfacher Hinsicht anzumerken. Was mir nicht nur für die Gäste leid tut, sondern auch für einen Gastgeber, der sich erneut getraut hat, ein ungewohntes Konzept nach Erfurt zu bringen. Als Einzelgast würde ich hier nur wieder einkehren, wenn der hintere Raum ein ungezwungeneres Tapas-Vergnügen ermöglicht. Ansonsten nur in einer Gruppe, die selbst für Stimmung sorgt.