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Es war unser letzter Tag in Bremen und dieser stand ganz im Zeichen der Familie. Draußen schien die Sonne, aber ein kalter Wind machte unseren gemeinsamen Besuch auf dem Friedhof im Bremer Ortsteil Lesum recht unangenehm.
Wir waren zusammen mit den Schwiegereltern dorthin aufgebrochen, um die Gräber der Großeltern zu besuchen. Zur Mittagszeit meldete sich dann ad hoc ein alter Weggefährte, der Hunger. Nach absichtlich ausgelassenem Frühstück kam sein Besuch aber nicht wirklich überraschend.
Da auch meine Frau Einkehrbereitschaft signalisierte und das in Lesum sehr beliebte griechische Restaurant Sparta – ich berichtete vor ein paar Jahren – fußläufig zu erreichen war, ließen wir es auf einen Spontanbesuch ankommen. Doch so schnell wir drinnen waren und einen Tisch im Gewühl ergattert hatten, strichen wir auch wieder die Segel. Zu laut, zu voll und mit dem Baby an Bord keine besonders gute Idee!
Nun war guter Rat teuer. Gut, dass da meine Schwiegereltern einen ihrer Meinung nach einfachen, aber recht passablen Italiener – in diesem Fall würde Italienerin tatsächlich besser passen – noch „aus Jugendzeiten“ kannten. Also griffen wir zur zweiten Option und steuerten das an der Stader Landstraße gelegene Mama Leone an.
Und so kam es schließlich zum allerersten Restaurantbesuch mit unserem kleinen, zu diesem Zeitpunkt knapp fünf Monate alten Töchterchen. Um es mit den abgewandelten Worten von 80er Ikone Nena zu sagen: Irgendwie fängt irgendwann, irgendwo das gemeinsame Auswärtsessen an!
Und warum nicht in einem italienischen Ristorante, das seit Jahren für anständige Pizzen und Pastagerichte steht, den Anfang machen? Seit 1977 (!) existiert die von außen etwas schmucklos wirkende Teigfladenschmiede der Familie Leone an Ort und Stelle.
Außenansicht
Meine Recherchen ergaben, dass Tochter Susan Leone in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten ist – was heute ja eher die Ausnahme, denn die Regel darstellt – und das Ristorante im Jahr 2017 übernommen hat.
So manche, die heute noch hier einkehren, waren schon bei Maria und Pino, den Eltern von Susan, zu Gast und sind ihrer Lieblingspizzeria über die Jahre hinweg treu geblieben, wie ich zahlreichen FB-Kommentaren entnehmen konnte. Vielleicht nicht die aussagekräftigste, aber sicher nicht die schlechteste Referenz für einen Traditionsbetrieb.
Wir wurden von einer jungen Bedienung freundlich in Empfang genommen und zu einem Tisch im hinteren, etwas kleineren Gastraum geführt. Das Lokal war gut besucht an diesem Sonntagmittag. Aber für vier Erwachsene und ein Baby hatte man noch Plätze frei.
Nachdem die Impfformalitäten geklärt waren, erhielten wir das in diversen Klarsichtfolien steckende Speisenprogramm, das eine beeindruckende Auswahl mehr oder weniger gängiger Italokost listete. Neben Pizza und Pasta in den üblichen Deklinationen, wurden auch Fleisch- und vor allem Fischgerichte offeriert. Mit Gamberoni, Calamari und Cozze huldigte man hier vor allem den Früchten des Meeres.
Was den Alkoholkonsum betraf, übte ich mich in Zurückhaltung. Der Abend zuvor steckte mir noch in der Leber und so verzichtete ich auf Valpolicella, Frascati & Konsorten. Stattdessen labte ich mich bald an klassisch vor sich hin sprudelndem Blubberwasser der Marke „San Pellegrino“ (0,7l für 5 Euro). Schwiegermutti gönnte sich ein Alster (0,3l für 2,50 Euro), während sich ihr Gatte ein Viertel Bardolino (4 Euro) reinpfiff.
Die Pizzen werden im Mama Leone in drei verschiedenen Größen angeboten. Neben einer Kinderportion – schätze mal etwas größer wie eine Vinyl-Single früher – gab es sie in „Normal“ und „Groß“. Wie groß „Normal“ ist oder ob „Groß“ hier eher normal ist, war der Karte nicht wirklich zu entnehmen, da keine Durchmesser angegeben waren. Laut meinem Schwiegervater wäre die normale Größe aber völlig ausreichend, da es sich um Teigfladen mit etwas dickerem, weicherem Boden handeln würde.
Aha, also eher eine „Napoletana“ mit schönem „bordo alto“, denn eine knusprig dünne „Romana“. Den Rat des Schwiegervaters überhörte ich geflissentlich und entschied mich für die große Pizza „Sophia Loren“ (14,50 Euro) mit Salami, Schinken und zwei Spiegeleiern. Ich spekulierte da schon auf den Verzehr ihres erkalteten Rests am nächsten Tag.
Meine Frau hatte dagegen so richtig Lust auf eine Portion Spaghetti Aglio e Olio (7,30 Euro), während die Schwiegereltern auch die Rundbackwaren favorisierten, was ihnen jeweils eine „Funghi“ (5,50 Euro) und eine „Napoli“ (6 Euro) in Normalgröße einbrachte. Ein Tomatensalat (5 Euro) und ein grüner Salat (3 Euro) für die Vorabgelüste komplettierten unsere Order.
Ein an der Decke angebrachtes Netz ließ den gestrandeten Caprifischer in mir jauchzen. Wir saßen bequem auf Polsterstühlen mit Kunstlederüberzug und auch der Jüngsten am Tisch gefiel es hier deutlich besser als im trubeligen Sparta, aus dem wir kurz zuvor entflohen waren. Unser Tisch (Holzfurnier) befand sich in einer gemütlichen Ecke. Eine Umgebung, die sich allein schon deshalb als babyfreundlich erwies, da wir so ziemlich unter uns waren.
Der hintere Gastraum
Wie schön, dass es diese einfachen Traditionsgasthäuser des kulinarischen Südens noch gibt, in denen man freundlich bedient wird und auch die Kleinigkeiten noch stimmen. In unserem Fall war es das zu den beiden Salaten gereichte Pizzabrot.
Pizzabrot
Das kam in seiner gesalzenen Fluffigkeit aber auch sowas von „oldschool“ rüber, dass es die reinste Wonne war. Eines wusste ich also bereits vor dem Rendezvous mit Sophia Loren: der Teig – das geschmeidige Fundament von allem Runden hier – würde mir schmecken und das bedeutete ja schon mal was.
Über den mit ordentlichem Zwiebelanteil versehenen, gut gepfefferten Tomatensalat kann ich nichts sagen. Aber in Anbetracht der Jahreszeit durfte man bei der erklecklichen Ansammlung blassroter Schnitze auf dem Teller meines Schwiegervaters von einem nicht allzu intensiven Aromenspektakel ausgehen.
Tomatensalat
Der grüne Salat meiner Gattin kam mit einfachem Essig-Öl-Dressing aus und fuhr damit ganz gut.
Kleiner grüner Salat
Bald dufteten uns die üppig gratinierten Teigfladen entgegen. Zu meiner Verwunderung schlummerte mein aus Schinken und Salami bestehender Rustikalbelag unter einer geschmolzenen Käseschicht. Sollte das nicht umgekehrt sein? Setzte man sich hier etwa absichtlich über die gängigen Konventionen hinweg und schloss den ritualisierten Bestückungsvorgang mit Käse ab?
Bei der „Napoli“ des Schwiegervaters das gleiche Bild. Ein mächtiger Schmelzkäseteppich begrub seine pikanten Komplizen, in diesem Fall Sardellen und Kapern, unter sich.
Pizza Napoli (Normalgröße)
Nur die frischen Pilze auf Schwiegermuttis Funghi-Fladen lagen obenauf und grinsten frech zu mir rüber.
Pizza Funghi (Normalgröße)
Nicht frech, dafür aber mit einer gehörigen Portion skurrilem Zubereitungshumor gesegnet, schauten mich die aus einem doppelten Spiegelei mit zwei schwarzen Olivenpupillen bestehenden „Augen“ meiner Sophia-Loren-Pizza an.
Pizza Sophia Loren
Das mondgesichtige Hefeerzeugnis schien mir augenzwinkernd klarmachen zu wollen, dass mein Magen eh nicht dafür ausgelegt sei, es hier und heute komplett zu vertilgen.
Da schaut sie mich an, die Sophia...
Es sollte von Anfang an Recht behalten. Zwar kämpfte ich wie Charlton Heston 1961 in der Historienschmonzette „El Cid“, fühlte mich aber eher wie ein neapolitanischer Don Quixote beim Kampf gegen ein teiggewordenes Wagenrad.
Meine Frau nudelte sich währenddessen durch ihre beiden siamesischen Pastazwillinge namens Aglio und Olio. Nicht zu fettig, aber auch nicht allzu bissfest gerieten ihre Spaghetti, denen es meiner Meinung nach etwas an „Wumms“ fehlte. Gut, für sie war es der erste Auswärtsteller nach vielen Monaten und von daher ihre Anspruchshaltung auch nicht sonderlich hoch.
Spaghetti Aglio e Olio
Meiner deftigen Italo-Scheibe mangelte es dagegen wahrlich nicht an Würze, was mir später noch einen ausgewachsenen Nachdurst einbrachte. Aber egal, der Zweck heiligt bekanntlich so manchen Pizzabelag und niemand von uns bereute den kleinen Abstecher in den leicht anachronistisch anmutenden Gastrokosmos der Familie Leone.
Vieles, was Vorrezensent Hanseat1957 vor rund 7 Jahren über das Mama Leone geschrieben hat, gilt auch heute noch. Das in die Jahre gekommene Innenleben, die etwas angestaubt wirkende Deko, die vielfältige Speisenauswahl und das gut gesalzene, leicht fettige Pizzabrot haben die Zeit überdauert.
Ob es sich bei diesem familiär geführten Ristorante tatsächlich um ein „Gesamtkunstwerk“ handelt, muss jeder für sich selbst beurteilen. Von zu langer Wartezeit aufs Essen kann ich jedoch nicht berichten. Vielleicht hat sich das ja im Zuge des Verjüngungsprozesses etwas gebessert.
Wir waren jedenfalls mit dem Verlauf dieser ersten Einkehr mit Baby sehr zufrieden. Die Kleine hielt gut durch und da uns auch die Schwiegereltern unterstützten, war das ein recht entspanntes Gastro-Debüt mit ihr. Wir genossen die sympathische Zeitreise back to the roots mit ordentlichen Pizzen, die trotz ihres nicht sonderlich großen Durchmessers gut sättigten.
Die drei Ramazotti zum Digestif gingen freundlicherweise aufs Haus und die Rechnung übernahm der spendable Herr Schwiegerpapa. Alles in allem also eine nicht unerfreuliche Stippvisite in diesem alteingesessenen Bremer Pizza-Tempel. Zwar kontrastierte der Besuch zu dem abends zuvor im Topaz Erlebten ganz gehörig, aber nur wer die einfachen Dinge der Kulinarik zu schätzen weiß, kann auch die Highlights in vollen Zügen genießen. Das reimt sich nicht – aber es erdet zumindest.
Oder um es mit den Worten eines großen Entertainers zu sagen: „You gotta get high before you taste the lows!“ (Robert Peter, genannt „Robbie“, Williams, 1997)